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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Samstag, 28. Dezember 2013

Kapitel 19 Untersuchung der Zeit (Kala parikasha) Nagarjuna, MMK

Die wirkliche existentielle Zeit des Buddhismus ist in der Theorie und Praxis von sehr großer Bedeutung. Auch in der modernen Physik ist das Verhältnis von Zeit und Raum von zentraler Bedeutung. Diese Kenntnisse standen den Buddhisten zur Zeit Nagarjunas natürlich noch nicht zur Verfügung, aber die großen Meister hatten eine tiefe intuitive Einsicht, was die existentielle Zeit, die Sein-Zeit für den Menschen und die Welt ist.

Der Buddhismus hat als wesentliche Grundlage die Wirklichkeit des wahre Handelns im gegenwärtigen Augenblick. Dies ist die wahre Zeit der Existenz. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft lassen das Handeln in der Wirklichkeit zu. Sie sind lediglich Erinnerungen und Widerspiegelungen in unserem Gehirn. Ich bezeichne sie als lineare Zeit. Für organisatorische und technische Fragestellungen und Aufgaben ist die lineare Zeit sicher ein wichtiges Hilfsmittel, aber für die wesentlichen Bereiche der existenziellen Wirklichkeit, nicht zuletzt in der spirituellen Erfahrung, ist der gegenwärtige Augenblick wichtiger als alles andere.

Gegenüber dem wahren erlebten Augenblick ist eine Zeitangabe mit dem Begriff „Gegenwart“ sehr viel abstrakter und ungenauer. Daher zähle ich die Vorstellung der Gegenwart wie die Vergangenheit und Zukunft zur linearen Zeit und nicht zur Existenz-Zeit.

Im Shôbôgenzô von Meister Dôgen gibt es ein gesondertes Grundlagen-Kapitel zur Sein-Zeit mit der japanischen Bezeichnung Uji, wobei U die Existenz und ji die Zeit bedeutet. In Vers 6 dieses Kapitels kommt Nagarjuna viele Jahrhunderte früher auf die gleichen existentiellen Aussagen über die wahre Zeit wie Dôgen.

Vers 1
Nagarjuna nennt die Vergangenheit eine Zeit, in welcher der gegenwärtige Augenblick noch nicht da ist. Wenn der gegenwärtige Augenblick angekommen ist, wird die Vergangenheit zur Erinnerung in unserem Gehirn und das ist eine unvollständige Repräsentation dessen, was in der Vergangenheit wirklich gewesen ist. Die Augenblicke in der Vergangenheit waren Wirklichkeit, aber die Erinnerung daran ist es nicht.

Vers 2
Der gegenwärtige Augenblick hat Stabilität und Wirklichkeit. Dagegen gibt es für die Vergangenheit viele Unsicherheiten und wir können nie ganz sicher sein, was wirklich in der Vergangenheit gewesen ist.

Die instabile Situation in der Vergangenheit kann auch mit Worten niemals genau beschrieben werden.

Vers 3
Nagarjuna nennt die Vergangenheit jene „Zeit wenn der gegenwärtige Augenblick noch nicht angekommen ist“. Der gegenwärtige Augenblick ist dagegen die wirkliche Zeit, während die Vergangenheit nur ungenau gedacht und erinnert werden kann.

Das gebräuchliche Konzept der linearen Zeit kann für die Wirklichkeit nicht verwendet werden.

Vers 4
Handeln ist die Grundlage für die wirkliche Welt hier auf der Erde und für die gedachte abstrakte Welt, die oberhalb der wirklichen Welt ist. Beide Welten bewegen sich durch Handeln.

Im Handeln des Augenblicks verschwinden Bewertungen wie das Höchste oder das Niedrigste und das Mittlere. Sie werden zu einer Einheit.

Vers 5
Was wir üblicher Weise als Zeit verstehen, ist die Kontinuität von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Ohne diese Kontinuität ist das Konzept der Zeit im üblichen Sinne sinnlos. Ohne die Kontinuität und Linearität gibt es überhaupt kein Konzept der Zeit.

Konkrete Erfahrungen gibt es aber nur im gegenwärtigen Augenblick. Sie können als Wirklichkeit erfasst werden. Demgegenüber kann Vergangenheit und Zukunft nicht wirklich erfasst werden, weil es sich nur um Erinnerungen und Erwartungen für die Zukunft handelt. Die wirkliche Sein–Zeit im Augenblick kann aber mit dem Verstand nicht gedacht werden.

Vers 6
Die wirkliche Zeit, also der gegenwärtige Augenblick, ist unauflösbar mit der wirklichen Existenz verbunden. Ohne Sein-Zeit gibt es keine Existenz und umgekehrt.

Daher ist es ausgeschlossen, dass die Existenz sich von der Zeit entfernt, also unabhängig von ihr ist. Alle Ideen über die Zeit sind dagegen abstrakt und keine konkrete Wirklichkeit.


Außerhalb des gegenwärtigen Augenblicks kann es keine Existenz geben. Wenn es keine wirkliche Existenz gibt, kann es auch keine wirkliche Zeit geben.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Kapitel 18 Untersuchung der unveränderlichen Seele nach dem alten indischen Glauben, Atman (Atma pariksha) Nagarjuna, MMK


Der Glaube an einen ewigen Seelenkern, der im alten Indien Atman genannt wurde, wurde von Gautama Buddha abgelehnt. Auch Nagarjuna kritisiert die Atman – Lehre in diesem Kapitel.

Vers 1
Die fünf Komponenten des Menschen (Skandas) entstehen, dauern an und vergehen nach der buddhistischen Lehre. Wenn die Atman – Seele in gleicher Weise existieren würde, müsste sie auch diese Eigenschaften haben.

Auch das Universum besteht aus den fünf Skandas. Wenn es eine Atman – Seele gäbe, müsste die sich jedoch von den Skandas unterscheiden, aber das ist nicht möglich.

Vers 2
Nagarjuna beschreibt hier die Atman – Seele als Erfindung und Fantasie.

Wenn man sich selbst ablehnt, bedeutet dies, dass man sich opfert. In diesem Sinne hatte Gautama Buddha extreme Askese geübt, aber dabei die Einheit seines Geistes verloren.

Nagarjuna beschreibt, dass sich eine Art Urseele mit einer anderen in der Askese treffen soll, aber beide dabei zugrunde gehen. Dies sei ähnlich der Situation, in der man sich selbst opfert.

Vers 3
Sich für etwas Wichtiges und einen anderen Menschen einzusetzen bedeutet aber, dass wir unser kleines Ego opfern. Das ist eine Wirklichkeit des selbstlosen Handelns, die im Buddhismus sehr wichtig ist.

Ein solches Handeln kann sichtbar oder unerkannt sein. Beim wahren Bodhisattva – Handeln gibt es kein Streben nach Vorteil für sich selbst und keine ostentative Darstellung des Handelns.

Vers 4
In diesem Vers wird herausgearbeitet, dass die Worte „ich“, „mein“ usw. suggerieren, dass wir uns selbst von außen sehen. Wir trennen dann in ein Ich ab, das ein anderes Ich von uns selbst wie von außen beobachten kann.

Dies ist natürlich eine fehlerhafte Hilfskonstruktion. In Wirklichkeit gibt es nur eine Einheit, die im Zustand des Gleichgewichtes verwirklicht wird.

Vers 5
Im täglichen Leben und auch in der Praxis des Samadhi (Zazen) gibt es Schmerzen und Leiden. Aber durch die buddhistische Praxis erreichen wir einen völlig freien Zustand. Dieser ist gewissermaßen die Umkehr der Schwierigkeiten in der Praxis.

Im Zustand des Gleichgewichtes wird die abstrakte Vorstellung von der sichtbaren Welt aufgelöst und durch die Wirklichkeit ersetzt.

Vers 6
Wer an eine Atman – Seele glaubt, unterteilt die Welt in die eigene Seele und den Rest der Welt. Es ist realistischer und besser, beides in Frage zu stellen und nicht als Wirklichkeit anzusehen.

Ein solches Konzept erleichtert den Umgang mit der Wirklichkeit in unserem Leben nachhaltig gegenüber der Vorstellung eines dauerhaften Seelenkerns nach der Lehre des Atman.

Vers 7
Abstrakte Vorstellungen und Welten können den menschlichen Geist in gewissem Umfang beruhigen und besänftigen. Aber sie sind nicht die Wirklichkeit und nicht stabil.

Im Zustand des Gleichgewichts zeigt sich demgegenüber die wahre Welt in ihrer ganzen Ruhe, Ausgeglichenheit und Schönheit, und wir sind ein Teil von dieser Welt. In der Balance werden wir nicht gestört und beunruhigt.

Vers 8
Die Wirklichkeit dieser Welt lässt sich rein intellektuell nicht beweisen und auch nicht verneinen. Deshalb hat Gautama Buddha die Frage, ob wir die Existenz der Welt mit dem Verstand erfassen können, als unsinnig beiseite gelassen.

Im Buddhismus ist es klar, dass es eine Einheit zwischen Körper und Geist gibt, und ein isolierter Geist kann die wahre Existenz oder das Gegenteil überhaupt nicht erfassen.

Vers 9
Die im Kapitel 1 genannte Vierfache Wahrheit manifestiert sich im Gleichgewicht und in Ruhe. Sie ist nicht außergewöhnlich und erfreulich. Was nicht gesehen werden konnte, wird sichtbar werden.

Die ursprüngliche Existenz gibt es wirklich, sie kann nicht durch etwas anderes verändert werden. Sie hat ihre eigenen Charakteristika der Wirklichkeit: Die Wirklichkeit der Welt ist so, wie sie ist

Vers 10
In dieser Welt hat jedes einzelne Ding seine besondere und eigene Existenz und setzt sie ohne Unterbrechung fort. Es kann niemals identisch mit etwas anderem sein. Im gleichen Sinne hat jeder Augenblick eine eigene Entität und unterscheidet sich vom anderen.

Ohne die vollständige Trennung jedes Augenblicks vom anderen kann die Ewigkeit nicht existieren.

Vers 11
Diese Welt hat nicht mehr als ein Ziel und hat nicht mehrere Ziele. Sie ist niemals unterbrochen und niemals ewig.

Solche Sichtweisen könnten die Wirklichkeit nicht angemessen erklären.

Nagarjuna sagt hier, dass die wirkliche Welt nicht den Göttern gehört. Das Universum ist nichts Übernatürliches: das sagen alle Buddhas.

Vers 12
Die Idee der Atman – Seele gibt es nicht bei denen, die Buddhas genannt werden und auch nicht bei denen, die Shravakas (direkte Schüler und Hörer Buddhas) genannt werden.

Auch bei den Buddhas, die aus sich selbst erwacht sind, wird das Problem der Atman – Seele als theoretisch angesehen.

Nagarjuna zählt hier also die drei in den frühen Sutras genannten Formen der Heiligen und Erwachten auf: die Buddhas selbst, die von ihnen unmittelbar Lernenden und die aus sich selbst Erwachten.