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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Sonntag, 27. Mai 2007

Tägliches Leben in der Dogen-Sangha


1. Ablauf des täglichen Lebens

a) Leben im Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems am ganzen Tag:

Die Zazenpraxis ist zweifellos der zentrale Punkt unserer buddhistischen Übung, aber es ist auch richtig, dass Zazen nicht allein das ganze Leben der Mitglieder der Dogen-Sangha ausmacht. Wir müssen daher das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems nicht nur im Zazen, sondern den ganzen Tag über aufrechterhalten, ausgenommen ist nur die Zeit, in der wir schlafen. Wir nehmen hier die Zeit des Schlafens aus, weil es so scheint, dass das sympathische Nervensystem während man schläft entspannt ist. Wir können daher davon ausgehen, dass das vegetative Nervensystem im Schlaf sich anders verhält als wenn wir wach sind.
Aus diesem Grund möchte ich den Schwerpunkt meiner Ratschläge für die Mitglieder der Dogen-Sangha auf das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems legen, wenn wir wach sind und nicht schlafen. Ich habe die starke Vermutung, dass kaum jemals von uns Menschen überhaupt etwas derartiges Seltsames gefordert wurde.
Nach meiner festen Überzeugung ist damit ein außerordentlich wichtiger Bereich angesprochen, der meine gesamte buddhistische und philosophische Lehre betrifft. Seitdem ich auf der Grundlage der Lehre von Meister Dogen den Buddhismus studiert habe, hat sich bei mir immer mehr der Grundsatz bestätigt und verfestigt, dass das buddhistische Samadhi der Gleichgewichtszustand des vegetatives Nervensystems ist. Nachdem ich mit dem Studium des Buddhismus begonnen hatte, wurde dieser Zusammenhang in den folgenden Jahren für mich zur Gewissheit.
In jener Zeit schätzte ich die Psychologie von Freud sehr und studierte vor allem den amerikanischen Psychologen Karl Menninger und dessen Bücher "Der Mensch gegen sich selbst" und "Liebe gegen Hass" usw. Ich hatte das feste intuitive Gefühl, dass die Erklärung des im Gleichgewicht befindlichen vegetativen Nervensystems, das ja einen mittleren Weg des Lebens bedeutet, mit der grundlegenden Tatsache des Buddhismus übereinstimmen müsste, die man als Samadhi bezeichnet.
Natürlich war meine Idee damals nicht viel mehr als eine Vermutung oder Hypothese. Seit dem sind über siebzig Jahre vergangen, in denen meine Hypothese sich immer mehr zu einer tragenden Theorie verdichtet hat, und mir ist kein einziger Fall bekannt, der damit nicht in Übereinstimmung war. Ich bin daher heute der festen Überzeugung, dass meine damalige Annahme richtig und die Wahrheit selbst ist.
In diesem Sinn beruhte meine gesamte buddhistische philosophische Lehre einschließlich der Zazenpraxis auf dieser Annahme. Wenn diese Annahme daher richtig ist, und ich bin davon fest überzeugt, muss auch meine gesamte buddhistische philosophische Lehre richtig sein. Wenn sie falsch wäre, muss auch mein Verständnis und meine Interpretation des Buddhismus falsch sein.
Wie gesagt, beruht mein Verständnis und meine Erfahrung des Buddhismus vollständig auf dieser Annahme des Gleichgewichts. In meinem langen Leben haben sich daran niemals Zweifel ergeben, so dass mein fester Glaube daran unerschütterlich ist.
Ich bitte und empfehle daher, dass alle Mitglieder der Dogen Sangha und alle Menschen, die an die Lehre Gautama Buddhas glauben, mindestens zweimal täglich Zazen praktizieren sollten.

b) Waschen des Gesichtes
Nachdem wir am Morgen aufgestanden sind, sollten alle Buddhisten sobald wie möglich das Gesicht waschen und die Zähne putzen. Meister Dogen beschrieb dies in einem Kapitel seines Werkes "Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" (Shobogenzo) im Kapitel 56: "Das Gesicht waschen". Damit wird deutlich, dass er dies für wichtig erachtete, denn sonst hätte er dem morgendlichen Waschen kein besonderes Kapitel gewidmet. Wir können daher annehmen, dass diese fast selbstverständliche Tätigkeit der Reinigung am Morgen ein wichtiger Bereich der menschlichen Kultur ist.

c) Gymnastik
Die gymnastischen Übungen, insbesondere am Morgen, sind nicht in den Beschreibungen von Meister Dogen enthalten, aber bei dieser Frage sollten wir uns das Leben zu seiner Zeit im 13. Jahrhundert vor Augen führen. Wir können annehmen, dass damals die buddhistischen Mönche in der Landwirtschaft schwere körperliche Arbeit zu leisten hatten und auch sonst körperlich stark belastet waren. Sie hatten daher in ihrem täglichen Leben ausreichend Möglichkeit für die körperliche Betätigung. Demgegenüber arbeiten wir heute im 21. Jahrhundert überwiegend am Schreibtisch oder bei sonstigen Tätigkeiten, die uns körperlich kaum fordern. Dadurch entsteht ein erheblicher Mangel an körperliche Bewegung und körperlicher Arbeit. Ich selbst habe daher mein ganzes Leben lang körperliche Gymnastik gemacht, die ich früher beim sportlichen Training erlernt hatte. Dies begann während meiner Zeit in der Highschool vor vielen vielen Jahren. Obgleich wir eine solche Gymnastik nicht zu einer buddhistischen Pflicht wie das Zazen zählen können, ist es sicher unbestritten, dass wir dadurch körperlich gesund bleiben und dass dies auch dem Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems zu Gute kommt. Außerdem ist es für mich wertvoll, täglich längere Spaziergänge durchzuführen und auf diese Weise fit und gesund zu bleiben.
Mir scheint, dass dies für alle Mitglieder der Dogen-Sangha nützlich ist.

d) Praxis des Zazen
Ich selbst praktiziere 45 Minuten am Morgen und 30 Minuten am Abend vor dem Schlafen. Für Anfänger mag es sinnvoll sein, die Dauer der Zazenpraxis schrittweise zu erhöhen, z. B. mit 15 Minuten anzufangen und dann über 30 Minuten auf 45 Minuten zu steigern.
Es gibt nicht die unbedingte Pflicht, an einer Sesshin mit vielen langen Sitzperioden teilzunehmen, in denen wir die Freude des Zazen erleben können. Aber es ist außerordentlich nützlich, sich daran zu gewöhnen, an jedem einzelnen Tag im Jahr Zazen zu praktizieren. Daher empfehle ich den Mitgliedern der Dogen Sangha so eindringlich, täglich Zazen zu praktizieren. Dabei sollten wir keinen einzigen Tag auslassen. Dies gilt auch für den Tag, der einer Sesshin unmittelbar folgt.

e) Mahlzeiten
Tägliches gesundes Essen ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe der Praktizierenden des Buddhismus. Wir haben nämlich ohne Zweifel die Aufgabe, so lange wie möglich zu leben und den Buddhismus in unserem Leben zu verwirklichen. Ohne gesunde Nahrung ist es unmöglich, unser Weiterleben zu sichern. Dabei kommt es auch auf die richtige Menge an, so dass wir also nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig essen. Unsinnig ist es vor allem, wenn es buddhistische Praktizierende gibt, die sich damit brüsten sehr viel oder auch sehr wenig zu essen. Die Menge des Essens sollte sich danach richten, was wir an jedem Tag natürlicherweise benötigen und hängt damit entsprechend vom Alter, vom Beruf, von der körperlichen Arbeit, von dem Gesundheitszustand usw. ab.
Bevor wir mit der Mahlzeit beginnen, sollten wir die fünf buddhistischen Betrachtungen (Reflexion) jedes Mal laut rezitieren. Ich habe diese fünf Betrachtungen, "Go Kan no Ge", schon früher in diesem Blog wiedergegeben und erläutert und möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich daran erinnern.

2. Zwischenmenschliche Beziehungen in der Dogen-Sangha

Ich erinnere mich lebhaft daran, dass die Worte "zwischenmenschliche Beziehungen" in Japan seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zunehmend benutzt wurden und dass sie seitdem richtig populär geworden sind. Auch heute werden diese Begriffe häufig verwendet und wir haben uns an sie gewöhnt. Daher möchte ich auch sie hier benutzen und zwar mit folgender Bedeutung: "Die Art und Weise des menschlichen Verhaltens, wenn wir in Gruppen und in der Gesellschaft miteinander in Kontakt sind". Wenn wir daher mit anderen Mitgliedern der Dogen-Sangha und allgemein in der Gesellschaft miteinander in Beziehung stehen, sollten wir dies ganz sorgfältig betrachten und bedenken.
Es hat sehr viele Beispiele hierzu in den menschlichen Gesellschaften seit der alten Zeit gegeben: Zum Beispiel im Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus, Judaismus, Christentum, Islam, Marxismus usw. Da es aber eine fast verwirrende Vielzahl moralischer Annahmen und Forderungen in der langen menschlichen Gesellschaft gibt, ist es für uns in der Tat sehr schwierig, zu wirklich tragenden Schlussfolgerungen beim moralischen Verhalten zu kommen.
Ich selbst bin den Lehren gefolgt, die Meister Dogen als buddhistische Kennzeichen der zwischenmenschlichen Beziehungen im Kap. 45 des Shobogenzo, “Die vier Arten des sozialen Handelns im Buddhismus“ (Bodaisatta-shishobo) zusammengestellt hat. Es handelt sich dabei also um vier Grundbereiche sozialen Handelns der Bodhisattvas. Eigentlich ist es an dieser Stelle auch überflüssig zu sagen, dass die buddhistische Welt sich sehr weitgehend von der “normalen“ sozialen Gesellschaft in dieser Welt unterscheidet, die überwiegend von Ruhm und Profit gesteuert wird. Dabei muss in aller Deutlichkeit betont werden, dass es für uns in der Regel völlig unmöglich ist, an die Wirklichkeit der Wahrheit auf der Erde wirklich zu glauben, wenn wir den Wert von Ruhm und Profit in der weltlichen Gesellschaft verehren. Dies ist für uns eine überraschende Tatsache, da wir normalerweise denken und fühlen, dass wir nur in der sozialen Gesellschaft leben und nicht in der Welt des Buddhismus. Meister Dogen hat jedoch in aller Klarheit in seinem Werk Gakudo-yujin-shu (bereits in diesem Blog enthalten) uns gelehrt, dass sich der Glaube an die wirkliche Existenz von Ruhm und Profit und der Glaube an die Existenz der Wahrheit im Universum vollständig ausschließen, also nicht miteinander vereinbar sind. Die Wahrheit wird normalerweise durch Ruhm und Profit verdrängt und die Menschen neigen dann dazu, die Wahrheit überhaupt nicht mehr zu erkennen. Ich möchte betonen, dass dieser Gesichtspunkt für uns von außerordentlicher Bedeutung ist, wenn wir nach der Wahrheit streben.
Wenn wir die wahre Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Buddhismus bei Meister Dogen verstehen wollen, müssen wir die Lehren im Shobogenzo lesen, welche die Grundlage haben, dass die Welt der Wahrheit wirklich existiert und dass sie sich von der fantastischen und imaginären Welt, die auf dem Idealismus und Materialismus aufbaut, grundsätzlich unterscheidet. Im Shobogenzo lehrt uns Meister Dogen folgende vier wesentliche Bereiche:

a) Freizügiges Geben:
Zum freizügigen Geben sagt Meister Dogen, dass dies bedeutet, nicht gierig zu sein. Mit diesen Worten "nicht gierig zu sein", lehrt er uns aber nicht, dass wir alles hergeben sollen, das für uns selbst sehr wertvoll ist und dass wir damit unsere eigenen Wünsche völlig übergehen, sondern dass wir etwas freiwillig einem Menschen geben, der es sehr dringlich haben möchte und das für uns selbst nicht so wichtig ist. Dabei sollten wir jedoch nichts geben, wenn wir berechnend erwarten, dass wir im Gegenzug als Belohnung für unser Geschenk an den anderen von ihm Gunst oder andere nützliche Dinge erhalten. Meister Dogen schrieb, dass wir ganz einfach nicht gierig sein sollen, wenn wir nach den Lehren der richtigen Wahrheit handeln wollen, selbst wenn wir über die vier Kontinente herrschen würden. Er sagt daher, dass wir den anderen in diesem Sinne auch ein einziges Wort oder einen einzigen Vers geben können. Weiterhin macht er deutlich, dass auch unsere Anstrengungen, um im Beruf für unser eigenes Leben zu arbeiten, eine Art des freigiebigen Gebens ist und dass unsere Arbeit im Rahmen irgendeiner Produktion ebenfalls ein solches Geben ist. Er sagt daher auch, dass unsere Arbeit für unser tägliches Leben freigiebiges Geben ist und dass die Arbeit, um unsere Familie zu unterstützen, ebenfalls freies Geben ist.

b) Freundliche und gütige Rede:
Gütige Rede bedeutet Worte zu wählen, die Liebe und Wohlwollen enthalten. Meister Dogen betont dabei, dass wir wirklich ehrliche Worte der Güte und Liebe gegenüber allen Menschen verwenden. Dies bedeutet nichts anderes, als dass wir überhaupt niemals anderen Menschen verletzende oder rohe Worte sagen sollten. Wenn daher jemand sich so verhält, dass er in irgendeiner Art gewalttätige oder rohe Worte verwendet und dabei behauptet, dass er ein Buddhist ist, zeigt die Verwendung solcher Ausdrücke ganz klar, dass er dann überhaupt kein Buddhist sein kann. Meister Dogen sagt, dass gute Ergebnisse auf der festen Grundlage freundlicher Rede entstehen, wenn wir z. B. Feinde im Guten überzeugen oder wenn es uns gelingt, wahre Harmonie bei Freunden auf zu bauen und zu pflegen.

c) Hilfreiches Handeln:
Hilfreiches Handeln bedeutet, allen Menschen zu helfen, ganz gleich ob sie zu der hohen oder niedrigen Klasse gehören und zwar ohne jede Unterscheidung. Törichte Menschen, welche die wirkliche Existenz der Weltgesetze nicht erkennen, denken meistens, dass wir auf diese Weise unseren eigenen Vorteil ohne Sinn und Verstand opfern würden, wenn wir anderen helfen und selbst zurückstehen. Aber die wirklichen Umstände der Welt und des Universums können niemals so beschaffen sein. Ein chinesischer Offizier, der Gouverneur einer chinesischen Kolonie war, unterbrach z.B. sein Bad, das er gerade nahm und seine Mahlzeit unterbrach, die er gerade zu sich nahm, um die Gäste zu begrüßen. Dies ist nur eines der Beispiele, wie Menschen sich anstrengen, um tatsächlich hilfreich zu handeln. Meister Dogen sagt daher, dass wir unser Wohlwollen ohne jede Unterscheidung grundsätzlich sowohl unseren Feinden als auch unseren Freunden und Verbündeten geben sollten. Er will mit diesen Worten zum Ausdruck bringen, dass wir im Buddhismus unser Wohlwollen und unsere Hilfe sowohl uns selbst, als auch anderen geben sollten. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass wir niemals Freude in einer eigentlich vollständig friedlichen Welt finden können, wenn wir nicht allen Menschen gegenüber gleich starke positive Gefühle haben und dabei uns selbst und unsere Feinde retten.

d) Zusammenarbeit:
Meister Dogen legt diese Worte der Zusammenarbeit so aus , dass wir uns selbst nicht abkapseln und wir auch die anderen nicht isolieren sollten. Er besteht darauf, dass wir Menschen im Einklang mit der sozialen Welt leben sollten und dass wir gleichzeitig mit dem Universum harmonieren sollten. Er sagt also auch, dass wir die Möglichkeit nutzen sollten, eine vollständige Einheit mit der äußeren Welt zu bilden. Diese Worte machen deutlich, dass es gar nicht mehr möglich ist, uns von der sog. externen Welt tatsächlich abzuspalten, weil wir auf der Grundlage der Zazenpraxis erkennen, dass die äußere Welt und wir selbst eine untrennbare Einheit sind. Meister Dogen beschreibt, dass das Meer nicht das Wasser ablehnt, das in das Meer fließt und dass das Wasser es nicht ablehnt, in das Meer zu kommen. Auf Grund dieser Tatsache kann sowohl das Meer als auch das Wasser wirklich existieren. Ein Berg lehnt die Erde nicht ab, und daher kann der Berg seine große Höhe haben. Meister Dogen legt uns daher ans Herz, dass alle Menschen in der Welt allen Dingen und Gegebenheiten mit einem sanften Gesicht und sanften Verhalten begegnen sollten.
Wie ich oben erläutert habe, hat Meister Dogen die wirkliche Welt, die menschliche Gesellschaft und die verschiedenen menschlichen Gruppen sehr realistisch beobachtet. Er hat die menschlichen Beziehungen auf der Basis des buddhistischen Realismus erklärt. Wir Menschen der Gegenwart sind jedoch im Allgemeinen mit dem buddhistischen Realismus noch nicht gut vertraut. Wenn wir daher die wahre Bedeutung von Gautama Buddhas Lehre erfassen wollen, sollten wir mit unseren Anstrengungen beim Studium fortfahren, so als ob wir je Anfänger der buddhistischen Lehre wären.

Dienstag, 15. Mai 2007

Wichtige Buddhistische Gedichte

1. Gedicht der fünf buddhistischen Betrachtungen vor jeder Mahlzeit (Go Kan no Ge)

In den buddhistischen Gruppen rezitieren wir laut vor der Mahlzeit ein Gedicht von fünf Betrachtungen oder Reflexionen, die auch in den buddhistischen Tempeln gesprochen werden. In neuerer Zeit wurden diese überlieferten Verse leider häufig verkürzt, aber ich bin der festen Überzeugung, dass die authentische Überlieferung im Buddhismus sehr wichtig ist. Der Buddhismus schätzt das achtsame Handeln unseres täglichen Lebens außerordentlich und daher ist es für uns ganz wesentlich, die grundlegenden Betrachtungen und Reflexionen vor dem Beginn der eigentlichen Mahlzeit zu rezitieren.
Aus diesem Grund möchte ich das Gedicht der fünf Betrachtungen (Go Kan no Ge) grundsätzlich einführen und vorschlagen, dass es sowohl allein als auch gemeinsam in der Familie vor jeder Mahlzeit gesprochen wird. Grundsätzlich ist es sinnvoll, dieses Gedicht in Japanisch zu rezitieren, aber ich halte es auch durchaus für möglich, dass es in die jeweilige Sprache des Landes übersetzt wird, in der die Mitglieder der Dogen-Sangha leben und in dieser Form gesprochen wird. Im Folgenden wird daher auch die deutsche Übersetzung gegeben:
Wortlaut der fünf buddhistischen Betrachtungen:

Zuerst bedenke ich, was ich selbst getan habe und dann denke ich an die großen Anstrengungen der anderen und ihre Leistungen, die Zutaten für das Essen zu erzeugen und zu kochen.
Dann denke ich daran, wie unvollkommen mein moralisches Verhalten ist und empfange das Essen mit großer Dankbarkeit.
Drittens sind meine Anstrengungen, um mich von abstrakten sinnlosen Gedanken zu befreien und Fehler zu vermeiden eng mit dem Bemühen verbunden, meine Gier, Wut und Dummheit zu kontrollieren.
Viertens empfange ich das Mahl als gute Medizin, um gesund zu bleiben und nicht siech und schwach zu werden.
Fünftens empfange ich dieses Mahl nur, um Wahrheit zu erlangen und zu vollenden.


Bei der Transkribierung in lateinische Buchstaben wurde jeweils das doppelte a, i, u und o verwendet, um einen langen japanischen Vokal wieder zu geben.

Japanischer Text:
Hitotsu ni wa, koo no tashoo o hakari, ka no raisho o hakaru
Futatsu ni wa, onore ga tokugyo no zenketsu o hakatte ku ni ozu
Mitsu ni ha, shin o fusegi toga o hanaruru koto wa, ton to o shuu to su
Yotsu ni wa masani ryooyoku o koto to suru wa, gyooko o ryoo ze n ga Tame nari
Itsutsu ni wa, joodoo no tame no yue ni, ima kono jiki o uku.



2. Das Gedicht zum Lob der Kashaya, die wir auf den Kopf legen (Chodai Kesa no Ge)

Ich schlage vor, dass nicht nur Mönche und Nonnen sondern alle von uns die Kashaya tragen, wenn sie Zazen praktizieren. Dieser klare Rat für meine Schüler beruht auf meiner eigenen tatsächlichen Erfahrung, dass unser Geist rein und aufrichtig wird, wenn wir die Kashaya an unserem Körper tragen. Meister Dogen besteht ebenfalls darauf, dass wir die Kashaya bei der Zazenpraxis verwenden sollten und beschreibt dies im Kapitel 93: "Der Wille zur Wahrheit" (Doshin) im Shobogenzo.
Wir knien vor der Zazenpraxis auf den Boden nieder und legen die gefaltete Kashaya auf unseren Kopf. Dabei haben wir die Hände zusammengelegt und rezitieren das Gedicht Chodai Kesa no Ge. Mit diesem Gedicht preisen wir die Kashaya dreimal. Dann stehen wir auf und legen die Kashaya an und setzen uns auf dem Sitzkissen zur Zazenpraxis nieder.

Wie großartig ist das Gewand der Befreiung .
Ohne Form, Feld des Glücks, Robe!
Voll Glauben die Lehren des Tathagata tragen.
Umfassend will ich die Lebewesen retten.

(englische Übersetzung von Gudo Wafu und Chodo Cross, Deutsch von Yudo J. Seggelke).

Japanischer Text von Chodai Kesa no Ge:
Daisai-gedatsu-fuku
Muso-fukuden-e
Hibu-nyorai-kyo
KooDo-shoshujoo

Bedeutung: Chodai bedeutet, "etwas auf den Kopf legen", Kesa bedeutet "Kashaya", no bedeutet "von" und Ge bedeutet "Gedicht". Daher bezeichnet der japanische Ausdruck Chodai Kesa no Ge ein Gedicht, in dem es gepriesen wird, die Kashaya auf den Kopf zu legen. In der nächsten Zeile bedeutet Daisai "groß" und Gedatsu "frei werden". Weiterhin heißt Fuku "Kleidung" und Hibu "etwas mit Wertschätzung zu tragen". Der Begriff Nyoraikyoo steht für die Lehren Gautama Buddhas. Die Worte Koodo bedeuten, "etwas umfassend zu schützen" und Shoshujoo bedeutet "verschiedene Lebewesen". Daraus ergibt sich die obige Übersetzung.
Am Ende des Kapitels im Shobogenzo “Die Verdienste des Kesa“ (Kap. 12, Kesa kudoku) gibt Meister Dogen die folgende Schilderung:

“Als ich in China weilte und auf einem langen Podest Zazen praktizierte, sah ich, wie mein Nachbar nach Beendigung jeder Praxis seine Kashaya hochhob und auf seinen Kopf legte. Dann erhob er ehrerbietig seine Hände in Gassho und rezitierte leise ein Gedicht, dessen Verse folgendermaßen lauteten:

Wie erhaben ist das Gewand der Befreiung.
Formlos und Glück bringendes Feld, Robe.
Voll Glauben trage ich des Tathagatas Lehre und
gelobe alle Lebewesen überall zu retten.

Damals stieg in mir ein tiefes Gefühl auf, das ich vorher nie empfunden hatte. Mein ganzer Körper war so voller Freude, dass unbemerkt Tränen der Ergriffenheit (über mein Gesicht) liefen und mein Kragen feucht wurde. Dies lag daran, dass ich zwar schon vorher im Agama-Sutra gelesen hatte, dass man die Kashaya auf das Haupt legt, aber ich war mir über diesen (wunderbaren) Brauch noch nicht im Klaren. Es erfüllte mich mit übergroßer Freude, als ich dies jetzt zum ersten Mal aus unmittelbarer Nähe sehen konnte, und ich dachte bei mir: "Wie traurig ist es, dass es in meinem Heimatland keinen Lehrer gab, der mich dies gelehrt und keinen Freund, der es mir empfohlen hätte. Es ist bedauerlich, so viel kostbare Zeit verschwendet zu haben. Es lässt mich freudig an meine vergangenen guten Taten denken, dass ich (diesen Brauch) jetzt mit eigenen Augen sehen und hören kann. Wenn ich ohne Sinn in meinem Heimatland geblieben wäre, könnte ich jetzt nicht neben diesem verehrungswürdigen Mönch sitzen, dem das Buddha-Gewand direkt weiter gegeben wurde und der es selbst trägt.“ Trauer und Freude kamen zusammen und ich habe zahllose Tränen der Dankbarkeit vergossen. (Nach Gudo Wafu Nishijima, Chodo Cross, G. Ritsunen Linnebach und Yudo J. Seggelke).


3. Gedicht zur Eröffnung von Sutra oder Dharma-Rede (Kai kyoo Ge)

Kai bedeutet "öffnen", kyoo bedeutet "Sutra" und Ge bedeutet "Gedicht". Daher kann Kai kyoo Ge übersetzt werden als das Gedicht zur Eröffnung der Dharma-Rede oder des Sutra. Wenn wir eine buddhistische Dharma-Rede beginnen wollen, rezitieren wir vorher normalerweise laut dieses Gedicht. Es wird sowohl von dem Vortragenden als auch von den Zuhörern laut gemeinsam gesprochen und dabei werden die Hände zum Gassho zusammengelegt.
Wir wollen diesen guten Brauch auch in der Dogen-Sangha pflegen.
Das ganze Gedicht kann wie folgt übersetzt werden:

Die Lehren Gautama Buddhas sind das Höchste, Tiefgründigste, Wertvollste und Feinste,
und es ist sehr schwierig für uns, ihnen zu begegnen.
Aber wir haben das Glück, ihnen zu begegnen und zu lauschen und daher bitten wir aufrichtig, die Lehren Gautama Buddhas mit ganzem Herzen zu verstehen.

Japanischer Text:
Mujoo jinshin mimyoohoo hyaku, sen, man goo nansoguu
Ga kon kenmon toku juuji gan ge nyorai shinjitsu gi


Bedeutung: Mujoo bedeutet "das Höchste", jinshin bedeutet "sehr gründlich" und mimyoo bedeutet "fein" oder "wertvoll".
Das Wort hoo wurde ursprünglich für den Dharma, also die Lehren Gautama Buddhas verwendet und ist gleichzeitig das Gesetz der Welt und des Universums. Hyaku bedeutet "Hunderte", sen bedeutet "Tausende", man bedeutet "Zehntausende" und goo bedeutet "Kalpa" oder "endlos große Zeitalter". Der gesamt Ausdruck Hyaku sen man goo heißt also "Hunderte, Tausende und Zehntausende von endlosen Zeitaltern".
Weiterhin bedeutet nan "sehr schwierig" und soguu bedeutet "treffen" oder "begegnen". Daher kann die ganze Zeile wie folgt übersetzt werden: "Es ist sehr schwierig für uns, dem Buddhismus zu begegnen, selbst wenn wir durch Hunderte, Tausende oder Zehntausende endloser Zeitalter gehen".
In der nächsten Zeile heißt ga "wir", kon bedeutet "jetzt", kenmon bedeutet "ansehen" oder "hören" und toku bedeutet "in der Lage sein" sowie juuji heißt "empfangen zu haben" oder "aufrechtzuerhalten". Die ganze Zeile kann also übersetzt werden, dass wir jetzt glücklicherweise in der Lage sind, ihm zu begegnen.
In der nächsten Zeile heißt gan "wahrhaftig zu hoffen", ge bedeutet "verstehen", nyorai bedeutet "ein Mensch" oder "eine Person", zu dem die Wirklichkeit gekommen ist, also Gautama Buddha und shinjitsugi ist die "wahre Bedeutung".

4. Wesentlicher Beitrag der Tugend (Fu E-kou)

Fu bedeutet "allgemein" oder "grundlegend" und E-kou bedeutet "Beitrag". Obgleich bei diesen Worten nicht ganz klar ist, auf was sich der Beitrag bezieht, liegt es doch nahe, dass es sich um die Tugend handelt, die durch die Anstrengung der Buddhisten erzeugt wird. Daher bedeutet Fu E-kou der grundlegende Beitrag der Tugend. Wenn wir eine buddhistische Lehrrede beenden, rezitieren der Vortragende und die Zuhörer gemeinsam mit zusammengelegten Händen die Worte des Gedichts Fu E-kou laut. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher Brauch sehr gut für die Unterstützung des Buddhismus geeignet ist, und ich wünsche mir, dass dies auch in der Dogen-Sangha gepflegt wird.
Das Gedicht kann folgendermaßen übersetzt werden:

Voller Hoffnung wollen wir diese Tugend allen Wesen zukommen lassen.
Alle Wesen und wir wollen gemeinsam Gautama Buddhas wahre Lehre erfüllen.
Alle Buddhas der zehn Richtungen, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vielen verehrten Bodhisattva, Mahasattva, Mahaprajnaparamita.

Japanischer Text:
Negawakuwa kono Kudoku o motte amaneku issai ni oyoboshi
Warera to shujoo to mina tomoni butsudoo o joozen koto o
Jiihoo sanshi ishiifu shison busa mokosa mokohoja horomii

Bedeutung: negawakuwa ist "hoffnungsvoll", kono bedeutet "dies" und kudoku ist "Tugend".
amaneku bedeutet "umfassend" oder "universell", issai bedeutet "alles", ni bedeutet "die Richtung des Beitrags" und oyoboshi bedeutet "beitragen".
Ich denke, dass die Gedichte der fünf Betrachtungen, der Kashaya auf dem Haupt, der Eröffnung der Dharma-Rede und der allgemeinen Widmung der Tugend nicht zu lang sind, so dass wir sie in der Dogen-Sangha in unserem täglichen Leben pflegen und rezitieren wollen, denn sie sind sehr wichtig.