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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Dienstag, 22. Juli 2008

Wie trifft man einen wahren Meister? (Teil 1)
Aus dem Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen, erscheint demnächst

Vielleicht kommen einige von Ihnen an dieser Stelle zum ersten Mal mit dem Buddhismus und Buddhas Lehre in Berührung. Vielleicht haben Sie aber auch schon Bücher über Zen-Buddhismus oder die buddhistische Lehre und Philosophie gelesen. Wenn ja, so sind Sie schon mit einigen Aspekten der buddhistischen Lehre vertraut. Aber nur die buddhistische Lehre zu studieren, bedeutet noch nicht, dem Buddhismus wirklich zu begegnen. Dem Buddhismus und Buddha zu begegnen, ist etwas viel Wirklicheres als die Worte eines Buches. Ein ganz wichtiger Aspekt dessen ist der persönliche Kontakt zu einem buddhistischen Lehrer oder Meister. Nur durch einen solchen Kontakt von Mensch zu Mensch, also durch eine wahre Begegnung, können wir anfangen, den Buddhismus zu entdecken. Ich glaube vor allem, dass die erste Begegnung mit einem Meister sehr wichtig ist.

Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, wie ich zum ersten Mal meinem eigenen Meister begegnete und ich möchte Ihnen gerne davon berichten. Ich habe bereits erwähnt, dass ich mich von Religion und Philosophie sehr angezogen fühlte, als ich jung war, doch dies in einer einfachen Art und Weise. In meiner frühen Schulzeit war ich sehr ernsthaft und naiv und glaubte blindlings an die Ideen, mit denen ich in Berührung kam. Meine Eltern glaubten nicht an eine bestimmte Religion, aber sie hatten eine achtungsvolle Haltung gegenüber dem Leben.

Ich nehme an, dass sie mein etwas naives Vertrauen zu Ideen noch ermutigten. Aber all dieses änderte sich grundlegend in der Zeit, als ich in die Junior High School kam. Die natürlichen Veränderungen meines Körpers in jener Zeit schienen auch wesentliche Änderungen in meinem Denken zu bewirken. Ich wurde plötzlich sehr skeptisch gegenüber dem, was ich vorher geglaubt hatte. Dieser Glaube schien mir im Wesentlichen auf nichts anderem zu beruhen, als auf meinem eigenen, von Wünschen gesteuerten Denken und auf vielen falschen und ungenauen Vorstellungen über das Leben. Ich konnte auch keinen vernünftigen Grund finden, das eine zu tun und das andere zu lassen und so lebte ich eine zeitlang ein ziemlich freies Leben. Ich hatte jedoch wenig Freude an dieser Freiheit. Das Leben schien mir leer und machte mich depressiv. Ich wurde langsam fauler und bequemer und mir selbst gegenüber immer nachlässiger. Meine Gesundheit wurde schlechter und mein körperlicher Zustand labiler.

Ich habe mich aus diesem unerfreulichen Zustand durch den Versuch befreit, das Examen für die Aufnahme zur High School zu bestehen. Dies war eine Herausforderung, die ich damals nötig hatte, um aus dem Zustand schlafender Energien zu erwachen. Ich widmete mich nun ganz meinen Studien und indem ich dies tat, wurde mein ganzes Leben ruhiger und geordneter. Dann schloss ich mich einem Sportverein an und begann große Strecken zu laufen. Als Ergebnis wurde meine Gesundheit besser, mein Geist klarer und konzentrierter und dies schien der Kräftigung der körperlichen Gesundheit und Energie zu entsprechen. Diese wirklich dramatische Verbesserung meines physischen und geistigen Wohlbefindens kam mir wie ein Wunder vor. War dies nur ein zufälliges Zusammentreffen? Nur eine Art Reifung? Und was war die wirkliche Beziehung zwischen meinem Geist und meinem Körper? Diese Fragen bewegten mich sehr und ließen mir keine Ruhe.

Indem ich diese Fragen bedachte, führte mich meine alte Vorliebe für interessante Ideen dazu, andere Bereiche der damaligen Zeit kennen zu lernen. Zu jener Zeit wurde die japanische Politik von einer äußerst rechten Partei beherrscht. Ich fragte mich als Student, ob ich den wachsenden Militarismus unterstützen oder ihm widerstehen sollte. Wie konnte ein Mensch derartig schwierige Zusammenhänge klar und korrekt einschätzen? Als ich für diese Fragen eine Antwort suchte, fühlte ich mich unausweichlich zu den Veröffentlichungen großer Philosophen und religiöser Kommentatoren hingezogen. Ich las einige Bücher über Buddhismus, aber sie vermittelten mir den Eindruck, dass Buddhismus im Kern eine Lehre von Asketentum und Selbstverleugnung sei. Ein derartig pessimistischer Ansatz des Lebens war nicht das, was ich suchte.

Dann las ich ein Buch mit dem Titel „Eine Studie über die spirituelle Geschichte Japans“ von Tetsuro Watsuji. Es galt als Meisterwerk, das jeder Student lesen sollte. Von den darin beschriebenen religiösen Persönlichkeiten der japanischen Geschichte zog mich besonders Meister Dogen, ein buddhistischer Priester des 13. Jahrhunderts, an. Die Geschichte seiner langen und schließlich erfolgreichen Suche nach der Wahrheit war für mich sehr spannend und faszinierend. Ich wollte mehr über diesen interessanten Mann und seine Vorstellungen vom Leben kennen lernen. Auf der Suche nach seinen Veröffentlichungen fand ich sein Werk Shobogenzo, „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“.

In jener Zeit hatte ich ein jugendliches Vertrauen in meine eigene Fähigkeit, alles zu verstehen, was ich lesen wollte. Aber zu meiner großen Überraschung und auch Enttäuschung konnte ich beim Shobogenzo so gut wie gar nichts verstehen. Trotzdem fühlte ich mich auf irgendeine Weise von dem Werk außerordentlich angezogen und es ließ mich nicht los. Bestimmte Sätze hatten eine ganz besondere Anziehungskraft für mich und ich fühlte intuitiv, dass sie Gedanken enthielten, die zutiefst ungewöhnlich waren, obgleich ich deren Bedeutung nicht klar erfassen konnte.

Etwa in jener Zeit fand ich eine Notiz in einer buddhistischen Zeitschrift über ein Retreat (Sesshin) zum Studium und zur Praxis, das in einem Tempel nördlich von Tokyo durchgeführt wurde. Die Vorträge wurden von Meister Kodo Sawaki gehalten, einem Priester der buddhistischen Soto-Schule, die eine bekannte Traditionslinie des japanischen Buddhismus ist und sich auf Meister Dogen als ihren Gründer beruft. Meister Kodo Sawaki war in jener Zeit ein recht bekannter Meister in Japan. Er war vor allem für seine Art zu leben und zu lehren berühmt, da er zur alten Tradition der hauslosen Mönche (Mendikant) gehörte. Er hatte keinen eigenen Tempel, sondern wanderte in Japan umher und „lieh“ sich Tempel aus, die wenig benutzt wurden. Dort blieb er dann eine Weile, sammelte Schüler um sich und lehrte sie Buddhismus nach seinem Verständnis, um dann zu einem anderen Tempel weiterzuwandern und dort eine andere Gruppe von Studenten zu lehren. Er liebte es, sich selbst Kodo zu nennen: „Kodo ohne Wohnhaus“.

Dieser Lebensstil des Umherwanderns führte Meister Sawaki schließlich zu dem Tempel nördlich von Tokyo und dies gab mir die Möglichkeit, erstmals ein Sesshin zu erleben und die Worte eines lebenden buddhistischen Meisters zu hören. Ich erinnere mich an mein glückliches Gefühl und die großen Erwartungen, als ich mich mit meinem Reissäckchen und anderen Vorräten zum Tempel aufmachte. Ich hatte das Gefühl, ein Abenteuer zu beginnen: mit meiner zentralen Frage nach der Wahrheit.

Ich war vom ersten Vortrag Meister Sawakis tief beeindruckt. Das Thema seines Vortrags war Fukan Zazengi, „Allgemeine Richtlinien für das Zazen“. Dies war Meister Dogens erste größere Veröffentlichung, in der er klare und praktische Anweisungen für das Zazen gab, der buddhistischen Praxis des Sitzens in Stille. Er erklärte darin auch sehr klar und überzeugend die wichtigen Punkte der buddhistischen Lehre.
Meister Sawaki sprach über die ersten Sätze des Textes, in dem es heißt:

„Wenn wir jetzt nach der Wahrheit fragen, [ist die Antwort, dass] sie ursprünglich überall gegenwärtig ist. Weshalb sollten wir dann auf die Übungspraxis und Erfahrung angewiesen sein? Das grundlegende Fahrzeug [zur Verwirklichung] existiert aus sich selbst heraus. Welchen Nutzen hätte da auch nur die geringste Übungspraxis?“

Als Meister Sawaki diese Worte erklärte, war ich von der vollkommen positiven und optimistischen Lebenseinstellung, die sie ausstrahlten, tief beeindruckt und erschüttert. Konnte es sein, dass mein anfänglicher Eindruck vom Buddhismus als einer pessimistischen Religion falsch war? Im Laufe des Vortrages hatte ich immer stärker das Gefühl, dass Meister Sawaki aus seiner eigenen mehr als 60-jährigen Lebenserfahrung schöpfte und dass dies seinen Vortrag so spannend machte. Ich war tief bewegt. Ich fühlte, dass ich wirklich der einfachen großen Wahrheit lauschte – dass Meister Kodo Sawaki in der Tat ein wirklicher Meister des Buddhismus war.