Über mich

Mein Bild
Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Montag, 17. November 2008

Das Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen

Ich freue mich, dass jetzt die deutsche Übersetzung des Buches "To Meet the Real Dragon" fertig ist. Das Buch kann ab sofort in jedem Buchladen bestellt werden. Die Einträge im Internet für die Online-Bestellung, z. B. Libri.de und Amazon.de, sollen am 24. November d. J. verfügbar sein.
Die ISBN-Nummer lautet: 978-3-941380-00-4
Bestellung: z. B. Libri oder Amazon



Donnerstag, 13. November 2008

Wiedereröffnung des englischen Blogs

Weil ich das große Werk von Meister Nagarjuna: „Gesang des Mittleren Weges“ (Mulamadhyamakakarika, MMK) ins Japanische übersetzt habe, hatte ich den englischen Blog für etwa ein halbes Jahr ruhen lassen. Da ich nunmehr die Übersetzung beendet habe, möchte ich mit der Veröffentlichung im Blog fortfahren. Die wichtigsten Inhalte des MMK sind besonders kompakte, und wie ich hoffe, verständliche Erklärungen der buddhistischen Lehre in der kurzen Form von Versen.

Montag, 3. November 2008

Handeln im Augenblick: Der Kern der buddhistischen Lehre (Teil 2)Aus dem Buch: "Begegnung mit dem wahren Drachen", erscheint Ende November 2008 im DONA-Verlag)


Fragen und Antworten:

Warum erfahren wir die Zeit nicht in der Weise, wie sie nach Ihrer Aussage in Wirklichkeit ist?

Ich denke, in Ihrer Frage steckt selbst ein Problem. Das Problem, was eigentlich wirklich „Erfahrung“ ist. Wir haben die Neigung, das Denken, die Bewertung und Interpretation der Erfahrung mit der wirklichen unmittelbaren Erfahrung zu verwechseln. Unsere normale Sichtweise der Zeit ist eine solche Interpretation und damit eine verstandesmäßige Erklärung und Bewertung. Wir können die Vergangenheit nicht wirklich erfahren und wir können die Zukunft genauso wenig erfahren. Wir können beide zwar denken, aber dies ist eine Tätigkeit des Verstandes und nicht die wirkliche Erfahrung. Im Gegensatz dazu können wir den gegenwärtigen Augenblick nicht wirklich denken, aber wirklich erfahren. Wir können einen Augenblick nicht isolieren und im üblichen Sinne beobachten und untersuchen. Wir können ihn nur leben und direkt erfahren. Wenn wir wirklich voll und ganz im Augenblick leben, gibt es in dieser Wirklichkeit gar keine „Zeit“, denn die Zeit gibt es nur in unserem Denken. Der Augenblick existiert in der Wirklichkeit. Den Augenblick können wir also als Wirklichkeit erfahren, während wir die Vergangenheit und Zukunft nur denken können.

Ich finde es hilfreich, die Beziehung zwischen unserer üblichen Vorstellung der Zeit und Gautama Buddhas Lehre dadurch zu verstehen, dass wir uns an die Definition einer Linie in der Geometrie erinnern. Entsprechend dieser Definition ist die Linie eine Reihe von Punkten. Jeder Punkt ist zwar getrennt und unabhängig, aber die Verbindung der Punkte, einer neben dem anderen, ergibt die Linie. Die Punkte selbst sind keine Linie, aber wenn man sie aus einer gewissen Entfernung anschaut, erscheinen sie als eine zusammenhängende Linie. Im selben Sinne ist der gegenwärtige Augenblick ein Punkt und wenn wir viele Augenblicke mit dem Verstand betrachten, ergibt sich der Eindruck einer Linie: die lange und scheinbar fortlaufende Linie unserer üblichen Vorstellung der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft.

Wenn wir uns die Zeit vorstellen, ist dies in der Tat ein Vorgang des Denkens. Wenn wir die Zeit aber direkt leben und erfahren, dann handeln wir und denken nicht. Leider neigen wir oft dazu, mehr Zeit unseres Lebens für Gedanken und Ideen als für das einfache und direkte Handeln zu verwenden. Wir sind zu sehr mit Gedanken beschäftigt und sind zu sehr mit dem Verstand aktiv, als dass wir sehen, was sich wirklich abspielt. Es gibt dabei keine ruhigen Bereiche in unserem Leben. Alle Lücken füllen wir mit unserem mentalen „Geplapper“. Ich denke, dies ist der Grund dafür, dass die übliche verstandesmäßige Interpretation der Zeit so real erscheint. Wir haben unsere Fähigkeit verloren, zwischen der gedachten und der wirklichen Welt zu unterscheiden. Wir müssen diese Fähigkeit unbedingt wieder erlernen.

Wir benötigen Raum in unserem Leben, damit wir die Bedeutung direkter Erfahrung zurückgewinnen können. Wir müssen zur wirklichen Welt zurückkehren, zur Welt des Augenblicks: Hier und jetzt, das ist die Wirklichkeit.
Es ist immer noch schwierig für mich zu verstehen, dass die Zeit aus getrennten Augenblicken besteht. Wir bewegen uns und handeln, unsere Handlungen erscheinen fließend und zusammenhängend. Die buddhistische Lehre steht meines Erachtens im Gegensatz zu diesen einfacher Beobachtung des Lebens.

Wenn wir einen Film, ein Video oder eine DVD ansehen, bewegen sich die Figuren sehr natürlich und fließend auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm. Es erscheint uns niemals so, als sähen wir wirklich eine Folge von einzelnen Bildern, aber genau so ist es. Ein Film ist ein langer Streifen, der in viele einzelne Bilder unterteilt ist. Jedes Bild ist für sich ein vollständiges und eigenständiges Bild und hat keine direkte Verbindung zu dem vorherigen oder dem nachfolgenden Bild. Wenn aber der Film durch den Projektor läuft, verschwinden die Lücken zwischen den Bildern und wir sehen die Szenen, in denen die Bewegungen natürlich und fließend aussehen. Dies liegt daran, dass unsere Augen dann die einzelnen Bilder nicht mehr getrennt sehen können.

Daher steht die buddhistische Lehre der Zeit nicht wirklich im Widerspruch zu unseren Sinneseindrücken von der Welt. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Augenblicke unseres Lebens sehr kurz und schnell vorüber sind. Wenn sie aufleuchten und vergehen, geht unser Leben sanft und fließend voran, Augenblick nach Augenblick nach Augenblick.
Im Verhältnis zur Schnelligkeit, mit der die Augenblicke kommen und gehen, scheinen wir Menschen verhältnismäßig träge und langsame Lebewesen zu sein. Es ist schwierig einzusehen, wie wir innerhalb eines einzigen Augenblicks frei handeln können.

Ich denke, dass die Wissenschaftler, die das Gehirn und das Nervensystem studieren, Ihre Beschreibung genauer erörtern könnten. Es ist wohl sicher, dass die Nervenimpulse durch den Körper mit einer gewissen endlichen Geschwindigkeit übertragen werden. In jedem Fall sollten wir erkennen, dass das, was wir normalerweise als einen zusammenhängenden Ablauf wahrnehmen, eine komplizierte Serie vieler einzelner Aktionen ist. Jede dieser einzelnen Aktionen ereignet sich in einem bestimmten Augenblick der Zeit und in vielen Fällen gibt es dabei die Möglichkeit der Entscheidung und der Wahl: Eine Entscheidung, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun, wird im Augenblick gefällt.

Diese Entscheidungen gelangen normalerweise nicht ins Bewusstsein. Sie sind unbewusst, spontan und direkt. So wie die spontanen Entscheidungen z. B. eines Baseballspielers, der seine Bewegung wegen der Kürze der Zeit kaum bewusst überprüfen und steuern kann. Ähnliches gilt für die intuitive Entscheidung eines Fotografen, in einem bestimmten Moment einen Schnappschuss zu machen. Wir fällen unzählige derartige Entscheidungen an jedem Tag und diese einfachen und direkten Entscheidungen sind maßgeblich für den Ablauf unseres Lebens.
Selbstverständlich folgt eine Handlung normalerweise einer anderen Handlung, wenn wir uns nach den gewohnten Mustern verhalten. In diesem Sinne sind wir an die Vergangenheit gebunden und dies entspricht der ablaufenden Folge von Ursache und Wirkung. Aus diesem Grund erscheint es oft so, als ob wir keine Wahlmöglichkeit hätten, keine Kontrolle über unser Leben, aber wir haben in der Tat diese Möglichkeit zu wählen. Jeder Augenblick unserer Existenz gibt uns die Möglichkeit, unseren Weg zu wählen. Wir können unser Ziel und unsere Bestimmung im Augenblick der Gegenwart ansteuern. Das ist unsere Freiheit und die sollten wir nutzen.

Ich vergleiche manchmal unsere Freiheit im Handeln des Augenblicks mit einer Perle, die auf der Schneide einer Rasierklinge balanciert wird. Es ist vielleicht ein seltsames Bild, aber stellen Sie sich bitte die Schneide einer Rasierklinge vor. Nun legen Sie eine Perle auf die Schneide und halten Sie diese mit Ihren Fingern im Gleichgewicht. Wie wird die Perle fallen, wenn Sie Ihre Finger wegnehmen? Wir können das nicht vorhersagen, nicht wahr? Das Ergebnis kann durch den kleinsten Lufthauch oder einen anderen Einfluss bestimmt werden, z. B. durch die leiseste Berührung mit dem Finger. Ich glaube, dass das Leben der Menschen im gegenwärtigen Augenblick dieser Perle auf der Rasierklinge gleicht. Alles ist sehr veränderlich. Die Zielrichtung kann in jedem Augenblick durch eine kleine Willensanstrengung geändert werden. Dies ist die Kraft der Entscheidung und der Freiheit im gegenwärtigen Augenblick. In solchen Augenblicken sind wir wirklich frei: frei zu wählen, frei zu handeln, frei unseren eigenen Weg in einer komplizierten Welt zu finden. Diese Freiheit, im Augenblick zu entscheiden, müssen wir unbedingt nutzen.

Nach der buddhistischen Lehre ist die Gegenwart die einzig wirkliche Zeit, nicht wahr?

Ja, ja, ja.

Daher ist die Zukunft nur eine Idee und eine Illusion?

Ja.

Und die Vergangenheit ist genauso nur eine Erinnerung?

Ja, auf eine bestimmte Art und Weise ist das richtig.

Dann ist das Gesetz von Ursache und Wirkung also ebenfalls nicht wirklich, oder?

Nun gut, dies können wir vielleicht so ausdrücken, aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, was wir mit „nicht“ wirklich meinen. Aus buddhistischer Sicht ist Ursache und Wirkung nicht etwas, das tatsächlich physikalisch existiert wie Materie oder Energie. Wir verstehen es eher als eine Theorie oder Erklärung. Wir schätzen diese Theorie als ein sehr nützliches Instrument, um vieles in unserem Leben besser zu verstehen und wir akzeptieren die Theorien von Wissenschaftlern und anderen, die ihre Erkenntnisse auf der Grundlage von Ursache und Wirkung aufbauen.

Aber gleichzeitig sollten wir uns daran erinnern, dass Ursache und Wirkung an sich eine Theorie ist. Wir können niemals die Existenz von Ursache und Wirkung in unserem wirklichen Leben direkt bestätigen und verifizieren, weil unser wirkliches Leben aus Augenblicken der Gegenwart besteht. Im gegenwärtigen Augenblick haben wir keine Zeit, auf Ursache und Wirkung zu achten, keine Zeit für die genaue Analyse. Unser wirkliches Leben ist Handeln, wir handeln hier und jetzt.

Daher bringt uns Ihre Frage zu dem Problem zurück, das wir bereits vorher behandelt haben: die verschiedenen möglichen Sichtweisen der Welt. Wenn wir das Leben als Idealist betrachten, ist das Universum etwas Ewiges und Unbegrenztes. Dann wäre der Geist die Grundlage der Wirklichkeit und diese Wirklichkeit des Geistes kann mit dem Gesetz von Ursache und Wirkung übereinstimmen oder nicht. Wir könnten dann zu jeder Zeit und immer frei sein: im Augenblick, in der Zukunft und sogar in der Vergangenheit. Materialisten analysieren auf der anderen Seite alle Tatsachen objektiv und vielleicht wissenschaftlich. Für sie ist alles endlich und an Ursache und Wirkung gebunden.

Sie sehen die Wissenschaft und das rationale Denken als ihre Bundesgenossen, als ihre wichtigste Quelle für die Bestätigung ihres Glaubens und ihrer Weltanschauung und sie lehnen es oft ab, unwissenschaftliche Fragen wie die nach moralischen Wahlmöglichkeiten oder menschlicher Freiheit überhaupt zu behandeln.

Für Buddhisten sind die Sichtweisen der Idealisten und der Materialisten jeweils für sich genommen beide falsch oder besser gesagt unvollständig und einseitig. Buddhisten werden nicht von dem unlösbaren Rätsel der Ewigkeit verführt, noch werden sie durch die harten und negativen Tatsachen auf dieser Erde entmutigt. Die Fragen und Ideen, die die Aufmerksamkeit ihrer idealistischen und materialistischen Zeitgenossen in Anspruch nehmen, lenken sie nicht von ihrem wirklichen Lebensinhalt ab. Dieser Inhalt ist das wirkliche Leben, wie es im gegenwärtigen Augenblick erscheint. Im gegenwärtigen Augenblick können sie handeln, können sie etwas tun.

Hier und jetzt etwas zu tun, ist in der Tat das Einzige, was wirklich möglich ist, aber das ist sehr viel. Das ist unser Leben. Das ist unsere Wirklichkeit. Daher handeln wir. Wir wählen und entscheiden, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun und indem wir solche Entscheidungen fällen, finden wir die wirkliche Freiheit und Freude in unserem Leben. Buddhisten hören natürlich nicht auf, sich Gedanken zu machen und Vorstellungen zu haben. Sie machen ihre Pläne für die Zukunft und erinnern sich an die Vergangenheit wie andere auch. Aber im Unterschied zu ihren idealistischen und materialistischen Zeitgenossen sind sie nicht gefangen durch diese Sichtweisen, die jene voneinander trennen.

Sie sehen den Idealismus und Materialismus als wichtige Werkzeuge an, mit denen man bestimmte Seiten des Lebens und Universums interpretieren kann, aber sie lehnen es ab, sich in deren dogmatischen und widersprüchlichen Sichtweisen zu verfangen. Sie haben eine freiere Sicht, die die Dinge aus einer Perspektive des Gleichgewichts sieht und erkennen das wirklich Wichtige in jeder Lebenssituation. Daher lehnen Buddhisten Ursache und Wirkung nicht ab, haben aber auch nicht die fatalistische Sicht, das alles im Leben schon festlegt und unausweichlich sei. Sie versuchen einfach, ihr Bestes zu tun, Augenblick für Augenblick und wissen, dass sie beides sind: frei und gebunden und dadurch können sie erfüllt handeln und leben.