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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Samstag, 30. August 2008

Der mittlere Weg und der Wille zur Wahrheit (Teil 2)
Fragen und Antworten
(Aus dem Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen, erscheint demnächst)


Es ist schwer für mich, den Sinn des mittleren Weges als Ziel zu verstehen. Können Sie erklären, wie der mittlere Weg als Leitlinie für das praktische Handeln funktionieren kann?


In den alten buddhistischen Schriften werden meist Gleichnisse und Metaphern verwendet, um die Lehren leichter verständlich zu machen. Vielleicht wäre ein solches Vorgehen auch sinnvoll, um den mittleren Weg verständlich zu machen. Wir können das Leben mit einer Straße oder Autobahn vergleichen:

Unsere Straße führt zu einem Zielort, aber vom Standort unseres Ausgangspunktes ist dieser Zielort normalerweise nicht zu sehen. Die Landschaft rechts und links von der Straße ist jedoch sichtbar und dies ist oft sehr spannend und auch verführerisch. Es gibt wunderbare Ausblicke auf Berge, Wälder und Flüsse, die unsere Aufmerksamkeit von der Straße ablenken. Außerdem gibt es am Straßenrand faszinierende Werbung für alle möglichen wunderbaren Dinge. Einige preisen ihre Produkte als das Höchste für die Lebensqualität und Lebensfreude an. Andere bieten sofortigen Ruhm und Erfolg und andere versprechen uns den Weg zur allwissenden Erleuchtung und zur spirituellen Glückseligkeit.

Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, lenken wir das Steuerrad des Autos nach der verführerischen Werbung entweder nach rechts oder nach links. Aber die Straße des Lebens ist seitlich der wirklichen Straße nicht befahrbar! Am Straßenrand sind nur Schlaglöcher und gefährliche Abgründe. Wenn wir das Auto in den Graben fahren, wird es vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen, um wieder zurück auf die befestigte Straße zu gelangen und weiterzufahren.

Es ist also das Ziel des Lebens, einfach auf der Straße zu bleiben, sonst geht es nicht voran. Wir sollten uns nicht allzu sehr um die endgültige Bestimmung und den zukünftigen Zielort sorgen. Das Problem ist unsere Sicherheit beim Fahren, hier und jetzt. Wenn wir das Gefühl haben, durch allzu fantastische Ideale oder materialistische Anreize nach rechts oder links weggezogen zu werden, sollten wir möglichst bald unseren Kurs korrigieren und wieder auf die Mitte der Straße zurückkehren.

Dies ist die Bedeutung des mittleren Weges als Ziel des Lebens. Der mittlere Weg ist nämlich kein fantastisches oder verführerisches Traumziel, sondern ein sehr praktischer Maßstab, um die Ausgewogenheit von Ideen und Handlungen richtig einzuschätzen und zu erreichen. Er ist ein Maßstab, der uns in Bewegung hält und uns in die richtige Richtung bringt. Mit einem solchen Maßstab können wir uns an unserer Fahrt durch das Leben erfreuen, ohne Angst vor illusionären Seitenspuren und gefährlichen Abgründen auf beiden Seiten. Wenn wir dem mittleren Weg folgen, können wir das Ziel des wahren Buddhismus schneller als auf jedem anderen Weg erreichen.

Ist der Idealismus immer die erste Äußerung des Willens zur Wahrheit?

Nein, ich denke nicht. Der Wille zur Wahrheit offenbart sich sehr einfach und direkt schon in der Kindheit. Wenn ein Kind ein seltsames Insekt findet, möchte es z. B. seinen Namen wissen. Wenn es in der Natur einer Schlange begegnet, möchte es sie mit einem Stock anstacheln. Es versucht also herauszufinden, was es damit eigentlich auf sich hat. Eine solche einfache Neugier ist bereits die klare Offenbarung des Willens zur Wahrheit. Wenn man dann älter wird, zieht uns derselbe Impuls zu Buchläden, zu interessanten Menschen oder vielleicht zu buddhistischen Seminaren.

Nicht alle Offenbarungen des Willens zur Wahrheit sind idealistisch. Im Verlauf des Lebens taucht der Wille zur Wahrheit oft in Form von idealistischen Fragen und Antworten auf, wenn wir anfangen, Philosophie oder Religion zu studieren und über das Leben nachdenken. Der Wille zur Wahrheit ist ein grundlegender Charakterzug des Menschen, unsere fundamentale Natur. Daher sollten wir den Willen zur Wahrheit im Laufe des Lebens nicht verlieren und nicht fortwerfen, sondern im Gegenteil bewahren und pflegen.

Sie haben erklärt, dass der Wille zur Wahrheit ganz natürlich und grundsätzlich ist und dass viele unserer Bemühungen im Leben von dem Willen zur Wahrheit gelenkt werden. Warum ist es notwendig, ihn zu erwecken, zu pflegen und zu bewahren, wenn dies so ist?

Das rührt daher, dass sich der ursprüngliche Wille zur Wahrheit, der von allen Menschen geteilt wird, in der Tat auf verschiedenartige Ziele richtet. So gibt es den Willen zum Ruhm, den Willen zum Reichtum, den Willen zur Macht usw. Solche Begierden und ein solcher Ehrgeiz sind nicht notwendigerweise schlecht oder unnatürlich, aber sie haben die Tendenz, den Willen zur Wahrheit selbst zu verdunkeln oder gar zu verdrängen.

Wir werden dann gefangen genommen von unseren weltlichen Aktivitäten und Unternehmungen, so dass wir das wahre Ziel unseres Lebens nicht mehr klar sehen können. An einem bestimmten Punkt werden wir wahrscheinlich die Leere und Sinnlosigkeit unserer blinden Sucht nach Macht, Ruhm, Geld, oberflächlichem Genuss oder scheinbarer Sicherheit erkennen. Wir haben dann das Gefühl, dass alle unsere Anstrengungen im Leben falsch waren und zu nichts geführt haben. Es scheint dann so, als ob es nichts gäbe, für das es sich lohnt zu leben und nichts, auf das wir unser Leben aufbauen könnten.

In solchen Zeiten der Verzweiflung mag sich der Wille zur Wahrheit wieder unüberhörbar melden. Dies ist damit gemeint, den Willen zur Wahrheit zu erwecken. Den Willen zur Wahrheit zu erwecken bedeutet, die Illusionen unserer Gedanken und unserer Begierden zu entdecken und freizulegen. Dabei entdecken wir die Tatsache, dass wir hier und jetzt nichts haben, auf das wir uns stützen und verlassen können – außer auf den Willen zur Wahrheit.

Samstag, 23. August 2008

Der mittlere Weg und der Wille zur Wahrheit (Teil 1)
Aus dem Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen, erscheint demnächst

Ich mache mir manchmal über die Menschen Gedanken, die aus dem Westen nach Japan kommen, um hier Buddhismus zu studieren. Ich denke, viele von ihnen suchen auch das Wesen und das Herz des geheimnisvollen Asiens. Vielleicht ist ihr Alltag im Westen langweilig und uninteressant geworden. Sie können den Sinn ihres sozialen Lebens nicht finden und die religiösen Einrichtungen ihrer Herkunftsländer scheinen wesentlicher Teil dieser negativen sozialen Situation zu sein. Die Institutionen dort sind den Menschen vielleicht zu vertraut und erscheinen ihnen zu gewöhnlich, zu langweilig und bieten zu wenig Neues. Daher suchen sie nach etwas anderem.

Der Zen-Buddhismus ist für sie so etwas Anderes und Exotisches. Er hat seltsame und paradoxe Geschichten, ungewohnte Ideen und Konzepte und eine fremdartige Übungspraxis. Alles erscheint geheimnisvoll und exotisch. Solche Geheimnisse ziehen manche Menschen gewaltig an, aber ich fürchte, es handelt sich dabei doch weitgehend um Illusionen. Es geht mir in meinen Ausführungen auch darum, solche Illusionen und fehlerhaften Konzepte zu berichtigen.
Der wahre Buddhismus ist nicht exotisch und nicht seltsam.

Der wahre Buddhismus ist im Grunde sehr einfach, sehr praktisch und sehr realistisch. Wenn wir den Buddha-Dharma wirklich verstehen, finden wir, dass andere Religionen dieser Welt demgegenüber zum Teil recht seltsam und geheimnisvoll sind. Sie sind auch mysteriös, weil sie oft auf einen ganz bestimmten Bereich des Geistes oder der Seele beschränkt sind, denn im Bereich des Geistes und der Fantasie ist wirklich alles möglich. Aber die reale Welt hat ihre konkreten und praktischen Grenzen wie Zeit und Raum. Die wirkliche Welt ist nicht fantastisch und fremdartig, sondern gradlinig und einfach: Die Wirklichkeit ist "normal".

Die Wirklichkeit kann in diesem Sinne nicht in den Extremen des Denkens und Fühlens gefunden werden, denn sie ist nur im Zustand des Gleichgewichts zwischen solchen Extremen vorhanden. Die Wirklichkeit herrscht in der Mitte oder im Zentrum, daher sprechen wir im Buddhismus auch vom mittleren Weg und davon, dass wir durch den Buddha Dharma unsere Mitte finden.

Der mittlere Weg ist ein sehr wichtiges Konzept im Buddhismus und wie die meisten buddhistischen Lehren, kann er auf verschiedenen Ebenen und aus vielen Sichtweisen heraus verstanden werden. Die meisten Buddhisten verstehen den mittleren Weg als Leitlinie, um ihr Leben richtig zu führen – ein Leben, das in der Mitte zwischen den Extremen eines allzu genusssüchtigen, weltlichen Lebens einerseits und einer übermäßig harten und entbehrungsreichen spirituellen Askese andererseits liegt. Ich glaube, dass dieses Verständnis sehr wichtig ist und ich bin der festen Meinung, dass es das ursprüngliche Konzept von Gautama Buddha im damaligen Indien ist.

Zu Lebzeiten des Buddha gab es viele verschiedene Ansichten, Haltungen, Denkrichtungen und Ideologien über das Leben. Eine Denkrichtung wurde von einer Gruppe naturalistischer Theoretiker angeführt, die auch als die sechs nicht-buddhistischen Priester bekannt waren. Ihre materialistische Einstellung unterstützte das Streben nach sinnlichen Freuden als dem wichtigsten Ziel des Lebens.

Das andere Extrem bildeten brahmanische Priester und andere idealistische Sucher. Sie drängten die Menschen dazu, von sinnlichen Freuden und Genüssen ganz Abstand zu nehmen und die Freiheit des Geistes durch Glauben und Gebet unabhängig vom Körper zu erreichen. Wir können daher im philosophischen Sinne den mittleren Weg als eine Haltung bezeichnen, die in der Mitte zwischen Materialismus und Idealismus liegt. Es ist eine Haltung, die extreme Standpunkte vermeidet und das Ziel eines gemäßigten, ausgeglichenen und harmonischen Lebens verfolgt.

Der mittlere Weg ist eigentlich eine einfache und gradlinige Idee. Wenn wir die Welt und die Menschen um uns herum studieren, können wir ohne Schwierigkeiten das Durcheinander und das Leiden erkennen, die durch eine Lebensführung der sinnlichen Genüsse oder der unrealistischen Ideale entstehen. Wir haben oft das Gefühl, dass unser Leben aus dem Gleichgewicht geraten ist, wenn wir unerreichbare Träume verfolgen oder flüchtigen sinnlichen Genüssen nachjagen und dabei letztlich nur Enttäuschungen und Frustrationen erleben.

Es ist unmöglich, dass wir alles bekommen, was wir haben wollen. Oft können wir nicht einmal erkennen oder entscheiden, was wir wirklich wollen. Manchmal sind wir in Hochstimmung und optimistisch, zu anderen Zeiten sind wir niedergeschlagen, depressiv und mutlos, was unsere Zukunft betrifft. Einmal denken wir, dass wir großartige außergewöhnliche Menschen sind und ein anderes Mal leiden wir unter Gefühlen der eigenen Kleinheit und fehlenden Bedeutung. Im Auf und Ab eines solchen Lebens fangen wir an, uns nach einer gewissen Ordnung und Klarheit zu sehnen. Vielleicht sollten wir versuchen, Harmonie in unser Leben zu bringen. Vielleicht sollten wir also dem mittleren Weg folgen. Dies ist sicher eine ausgezeichnete Idee, aber leider ist sie nicht so leicht zu verwirklichen.

Dem mittleren Weg zu folgen ist nämlich nicht so einfach, wie es zunächst erscheint und wie man vielleicht glaubt. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir nicht leichtfertig übergehen sollten. Warum ist es nun so schwierig, dem mittleren Weg zu folgen? In einer Hinsicht ist das Problem jedoch sehr einfach. Der mittlere Weg ist ein geistiges Konzept, also ein Ideal, das wir uns zwar gut vorstellen können, es ist jedoch nicht die Wirklichkeit selbst, es ist nicht unser Leben. Ideale sind immer einfach zu denken und schwer zu verwirklichen. Sie sind eben Ideen und nicht die Wirklichkeit.

Wir wundern uns vielleicht darüber, dass Gautama Buddha uns lehrte, etwas anzustreben, das in der wirklichen Welt nicht zu erreichen ist. Warum sagte er uns nicht, dass wir unsere Träume und Ideale vergessen sollten, um nur in der unfassbaren Wirklichkeit und Wahrheit zu leben? Ich fürchte, dass seine Schüler ihn mit einem verständnislosen Ausdruck im Gesicht angestarrt hätten, wenn er sie dies gelehrt hätte. Wie kann man aber in einer mit dem Verstand nicht fassbaren Wirklichkeit leben? Wie kann man etwas suchen, das keinen Namen hat und nicht genau beschrieben werden kann? Am Anfang unseres Studiums des Buddhismus scheinen die Lehren des unfassbaren Dharma und der unfassbaren Wirklichkeit unklar und nicht besonders wichtig zu sein. Wir brauchen daher ein geistiges Bild, das einfacher zu verstehen ist, wir benötigen eine Idee, die direkter mit unserer täglichen Erfahrung verknüpft werden kann. Ich denke, dass Gautama Buddha dies sehr genau wusste. Er wusste, dass die Menschen ein verständliches Ziel benötigen – eine Idee, die als Ziel oder Leitlinie für ihre Bemühungen im Leben dienen kann.

Der mittlere Weg ist ein solches Ziel. Es ist in der Tat ein gutes Ziel, dass wir ein ausgeglichenes, harmonisches Leben führen und extreme Sichtweisen und Handlungen vermeiden sollten. Dieses Ziel können wir mit unserem Geist leicht erfassen. Der mittlere Weg ist ein Ideal, aber er spiegelt die wirkliche Natur des Universums wider. Es ist ein Ideal, das realistisch ist und unser Leben nachhaltig verbessert. Unser Bemühen, ein Leben auf dem mittleren Weg zu führen, wird uns im Laufe der Zeit zu Harmonie mit der Welt, den Menschen und dem Universum führen.

Danach können wir das Ideal eigentlich vergessen und einfach in der wirklichen Welt leben und handeln. Wenn wir ein einfaches, realistisches Ziel haben, ist dies ein wichtiger Ausgangspunkt für viele menschliche Handlungen und Unternehmungen. Gautama Buddha berücksichtigte diese Tatsache, indem er den mittleren Weg lehrte. Wenn man die Notwendigkeit eines Zieles anerkennt, bedeutet dies, dass wir die Wichtigkeit von Idealismus und Idealen in unserem Leben anerkennen. Dies ist, denke ich, die tiefere Bedeutung der buddhistischen Lehre des mittleren Weges.

Auch Meister Dogen hat den Wert des Idealismus anerkannt, aber auf eine andere Art und Weise. Im Shobogenzo drängt er uns oft, den Willen zur Wahrheit zu erwecken, zu pflegen und zu bewahren. „Wille zur Wahrheit“ ist meine Übersetzung des Sanskritwortes „Bodhicitta“. Es bezeichnet ein sehr altes Konzept im Buddhismus und in den Arbeiten von Meister Dogen nimmt es einen besonders wichtigen Platz ein. Er sagt mit Nachdruck, dass es von herausragender Bedeutung für das Studium des Buddhismus ist, den Willen zur Wahrheit zu besitzen und weiter zu entwickeln.

Wir mögen hervorragende Kenntnisse der buddhistischen Theorien und sogar der Übungspraxis haben, aber ohne den Willen zur Wahrheit ist ein solches Wissen weitgehend sinnlos. Auf der anderen Seite unterstreicht Dogen, dass Fehler und falschen Handlungen in unserem Leben eine wichtige Voraussetzung für den Lernprozess sind, durch den wir die Wahrheit erlangen und sogar die Ursache dafür sein können, dass wir sie erlangen, sofern wir den Willen zur Wahrheit in unserem Leben fest verankert haben.

Als ich solche Sätze zuerst im Shobogenzo las, verstand ich, dass der Glaube an den Willen zur Wahrheit bei Meister Dogen unerschütterlich war und keine Kompromisse zuließ, aber ich konnte nicht verstehen, warum dies so wichtig sein sollte. Ich wunderte mich darüber, dass er eine so hohe Meinung vom Willen zur Wahrheit hatte. Jetzt, im Licht meiner eigenen Erfahrung eines langen Lebens, kann ich den Grund für diesen kompromisslosen Glauben verstehen. Ich denke, wir können ihn in der Geschichte seines Lebens selbst finden. Er begann das Studium des Buddhismus als er noch sehr jung war. Damals hatte er keine klare Vorstellung von dem, was Buddhismus wirklich ist. Er hatte viele zum Teil einseitige Ideen und idealistische Fantasien, aber er konnte den Buddhismus letztlich überhaupt nicht verstehen.

Er konnte weder die Sutras noch die buddhistische Theorie und auch nicht die Lehren seiner Meister wirklich begreifen. Seine Gedanken über den Buddhismus waren meist den Absichten Gautama Buddhas vollständig entgegengesetzt. Er hatte keinen Maßstab, um die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden, kein realistisches Ziel, auf das er zuarbeiten konnte. Er hatte in seiner ganzen Verwirrung wirklich nichts als den Willen zur Wahrheit.

Daher wurde der Wille zur Wahrheit zum Maßstab seines Lebens. Seine fehlerhaften Ideen und Fantasien trieben ihn vorwärts. Als er den Realitäten des Lebens begegnete, musste er viel leiden und geriet in immer neue Verwirrungen, aber diese Leiden und diese Verwirrungen stärkten seine Entscheidung, nur die Wahrheit zu suchen. So erreichte Meister Dogen schließlich trotz der zahllosen Fehler, Missverständnisse und persönlichen Schwierigkeiten das Ziel, das er vorher nicht klar in seinem Geist gesehen hatte. Dies war für ihn eine äußerst wichtige Tatsache. Wenn er an die Erfahrungen seines Lebens dachte, fühlte er ohne jeden Zweifel, dass der einzige wahre Führer sein Wille zur Wahrheit gewesen war.

Dies ist der Grund, denke ich, warum Meister Dogen den Willen zur Wahrheit so hoch schätzte. Er glaubte, dass der Wille zur Wahrheit unser wahrer Verbündeter und unser wahrer Freund im Leben ist. Diesen Verbündeten sich zu erhalten, ist daher die wichtigste Pflicht im menschlichen Leben. Wir sollten keine Angst vor Leiden, Verwirrungen und großen Schwierigkeiten haben, aber wir sollten Angst davor haben, den Willen zur Wahrheit zu verlieren. Ohne den Willen zur Wahrheit können wir niemals die höchste Bestimmung des menschlichen Lebens erreichen.
Daher ist der Wille zur Wahrheit für uns von grundlegender Bedeutung. Er ist die Kraft und Unruhe, die uns vorwärts treibt auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und die Quelle einer besseren Lebensweise und des Glücks. In diesem Sinne stehen daher alle unsere Bemühungen im Leben in einem direkten Zusammenhang mit dem Willen zur Wahrheit.

Wenn wir Philosophie oder Religion studieren, haben wir anfangs meist eine bestimmte Motivation, die rein, spirituell und sehr idealistisch ist. Meister Dogen fühlte, dass eine solch idealistische Anstrengung, unser eigenes Leben verstehen zu wollen, der aufrichtige und natürliche Ausdruck des Willens zur Wahrheit ist. Daher lehnte er auch später den Idealismus nicht ab. Im Gegenteil, er sah ihn als Ausdruck des menschlichen Willens an, etwas wissen und verstehen zu wollen. Er fühlte, dass die idealistische Form des Willens zur Wahrheit eine wichtige Phase in der Entwicklung des einzelnen Menschen und der ganzen Menschheit darstellt.
Ich glaube daher, dass Meister Dogen und Gautama Buddha sehr ähnliche Einstellungen zu Idealen und zum Idealismus hatten. Sie verstanden, dass die Menschen zuerst einmal Idealisten sein müssen. Wenn die Menschen dem Buddhismus begegnen, werden sie ihn zunächst immer auf der Grundlage idealistischer Gedanken studieren.

Dies ist eine notwendige Phase des menschlichen Verstehens, eine natürliche Stufe, durch das Leben die großen Probleme des Lebens selbst zu lernen. Daher sieht der Buddhismus den Idealismus als einen Anfangspunkt allen Denkens und Verstehens an, aber er ist nicht das endgültige Ergebnis oder die höchste Wahrheit, sondern er ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dieser Wahrheit. Ohne unsere Träume, Ideen und Ideale können wir niemals unsere Reise zur Wahrheit beginnen, weil wir keine Vorstellung von der Richtung hätten und kein Ziel, auf das wir uns zu bewegen könnten. Die geistigen Bilder, Ziele und Ideen, welche die erste Stufe unseres Verstehens kennzeichnen, sind daher sehr wichtig für uns. Sie geben uns einen ersten Eindruck von einer komplexen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit mit vielen verschiedenen Gesichtern. Idealistische Bilder der Wahrheit sind in der Tat ein bestimmtes Gesicht dieser Wirklichkeit – ein Gesicht der wirklichen Welt.

Samstag, 2. August 2008

Wie trifft man einen wahren Meister? (Teil 2)
Aus dem Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen, erscheint demnächst


Fragen und Antworten

Wie können wir einen wahren Meister des Buddhismus finden?

Sie müssen ihn suchen und ihm zuhören.

Aber wenn wir einem buddhistischen Lehrer begegnen, wie können wir wissen, dass er ein wahrer Lehrer und ein wahrer Meister ist?

Buddhistische Meister sind sehr verschieden und haben ausgeprägte Persönlichkeiten. Sie mögen dick oder dünn, langweilig oder gut aussehend, jovial oder ernsthaft sein. Daher gibt es leider keine bestimmten äußeren Merkmale oder einfache Richtlinien, um einen wahren Meister von einem geschickten Schwindler zu unterscheiden. Wenn wir einem guten Lehrer begegnen, sollten wir bei ihm eine gewisse Ernsthaftigkeit erkennen können. Wir sollten ein intuitives Gefühl haben, dass seine Lehren wahr sind. Wenn wir jemanden gefunden haben, von dem wir fühlen, dass er ein wahrer Lehrer ist, besteht der nächste Schritt darin, uns selbst für diesen Lehrer wirklich zu öffnen und das, was er sagt, ganz aufzunehmen. Manche seiner Aussagen mögen ziemlich fremd oder gar ungeheuerlich klingen.

Der Meister könnte zum Beispiel sagen, dass Buddha das Unkraut im Garten oder ein vom Baum fallendes Blatt ist. Wir müssen dann bereit sein, diese Aussagen ernst zu nehmen und uns auf sie einzulassen: Ja, vielleicht ist Buddha das Unkraut oder ein fallendes Blatt. Wenn wir dann die Lehren des Meisters mit einem offenen Geist betrachten, müssen wir seine Lehren für unser eigenes Leben überprüfen. Dies ist eine wichtige Phase des buddhistischen Studiums. Am Anfang unseres buddhistischen Lebens unterliegen wir normalerweise einem Prozess von Versuch und Irrtum. Wir müssen dann durch unsere eigenen Anstrengungen herausfinden, was wahr ist und ob wir dem Lehrer vertrauen können.

Sensei, in Ihrem Vortrag haben Sie von Ihrer frühen Einführung in den Buddhismus gesprochen. Aber ich bin an Ihrem Leben als Ganzem interessiert. Ich habe einiges über Ihren Lebensweg auf der Rückseite Ihrer Bücher gelesen. Ich habe erfahren, dass Sie an der Universität von Tokyo studiert haben, dass Sie für die Regierung im Finanzministerium und später für eine Versicherungsfirma gearbeitet haben. Wir verbinden im Allgemeinen solche beruflichen Aktivitäten nicht mit dem Leben eines Mönches oder eines Priesters. Aber ich weiß, dass Sie später in Ihrem Leben in der Tat als Priester ordiniert wurden. Welche Unterschiede haben sich da in Ihrem Leben bemerkbar gemacht, nachdem Sie Priester geworden sind? Wie hat es Sie persönlich verändert und Ihr Verhalten gegenüber anderen Menschen beeinflusst?

Ganz grundsätzlich gab es da keine großen Unterschiede. Mein Leben war im Grunde dasselbe, bevor ich Priester wurde. Bevor ich Priester wurde, lebte ich mein Leben als Buddhist. Nachdem ich Priester geworden war, setzte sich dieses Leben als buddhistisches Leben fort. Ich lebte mein buddhistisches Leben von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick – manchmal in meinem Büro, manchmal zu Hause und manchmal im Tempel. In jeder Situation gab es nur mein buddhistisches Leben. Durch eine bestimmte Zeremonie wird man Priester. Aber dies ändert nicht die grundsätzliche Lebensweise und diese ist das buddhistische Leben hier und jetzt. Das ändert sich nicht.

Hatten Sie in Ihrer Jugend das Gefühl, ein Mönch zu sein?

Was meinen Sie mit „das Gefühl, ein Mönch zu sein“?

Nun ja, manche Menschen scheinen besondere Fähigkeiten und ein besonderes Verhältnis zum Leben zu haben.

Ja, ich glaube, ich hatte das Gefühl eines Mönches. Aber daneben hatte ich auch das Gefühl eines Laien. Ich hatte das Gefühl eines Menschen im Beruf, eines Vaters usw. Alles zur selben Zeit. Ich hatte das Gefühl, ein Mensch zu sein.

Wie kam es, dass Meister Kodo Sawaki einen so großen Eindruck auf Sie gemacht hat? Warum war er ein so guter Lehrer?

Ich glaube, es lag daran, dass seine Lehre so rein war. Wenn ein Mensch normalerweise irgendetwas Bestimmtes tut, hat er dabei meist eine besondere Motivation oder ein bestimmtes Interesse. Oft steht ein teils bewusstes und teils unbewusstes Verlangen dahinter, etwas im Gegenzug für den eigenen Aufwand zu bekommen. Aber bei Meister Kodo Sawaki konnte ich solche Motive nicht erkennen. Er lehrte einfach, weil es für ihn natürlich war, dies zu tun. Seine Lehre war rein und seine Theorie einfach und klar. Er lehrte, dass Zazen der Kern des Buddhismus ist – ja, dass Zazen identisch mit dem Buddhismus selbst ist.

Als ich die Worte von Meister Sawaki hörte, hatte ich zwar noch die Neigung, daran zu zweifeln und kritisch zu sein, aber ich konnte seine Worte nicht wirklich in Frage stellen. Als ich ihm begegnete, berührte mich tief etwas in seinem Verhalten und seinen Worten. Es war eine Art von intuitivem Gefühl. Ich fühlte, dass die Lehren von Meister Kodo Sawaki wahr waren – dass er eine Verkörperung der Wahrheit selbst war.

Hatten Sie nicht das Gefühl, dass Sie durch eine besondere Veranlagung so aufnahmebereit für Meister Sawaki waren? Sie müssen ein besonderer Schüler gewesen sein.

Ja, ich nehme an, dass ich besonders unbedarft war. Wollten Sie das sagen?

Unbedarft?

Ja, unbedarft im wörtlichen Sinne. Menschen haben im Allgemeinen wenig Zeit für philosophische Fragen wie zum Beispiel über das Verhältnis von Körper und Geist oder die grundsätzlichen Wesensmerkmale der Religion usw. Aber derartige Fragen waren für mich von ganz großer Bedeutung. In gewissem Sinne war ich zu ernsthaft, zu gradlinig und mein Geist zu einfach. Aber ich denke, es waren gerade diese Eigenschaften, die mich für die Wahrheit empfänglich machten, als ich sie hörte. Ich glaube daher, dass es nicht wichtig ist, wie intelligent wir sind, sondern dass wir an die Existenz der Wahrheit glauben und sie ernsthaft suchen.

Warum betonte Meister Kodo Sawaki die Bedeutung von Zazen so stark?

Meister Kodo Sawaki schätzte die Praxis des Zazen außerordentlich und erzählte uns häufig, wie es dazu gekommen war, dass er diese Bedeutung des Zazen erkannte. Er war noch ein Teenager, als er sich entschied Mönch zu werden. Er wollte in das große Kloster Eihei-ji eintreten, das von Meister Dogen gegründet worden war. Aber zu jener Zeit war es nur jungen Männern aus wohlhabenden Familien möglich, in dem Tempel als Novize aufgenommen zu werden. Leider hatte der junge Kodo seine Eltern früh verloren und war sehr arm.

Um überhaupt in den Tempel eintreten zu können, war er gezwungen, als Diener für die älteren Mönche zu arbeiten. So war sein Leben im Tempel sehr hart und wenig inspirierend. Seine Vorgesetzte war eine alte, strenge Frau, die ihre Untergebenen vom Morgen bis in den späten Abend mit Saubermachen und untergeordneten Pflichten für die Mönche in Atem hielt. Ihr dauerndes Schelten und Schimpfen klang ihm den ganzen Tag in den Ohren und er musste feststellen, dass er keine Zeit hatte, Zazen zu praktizieren oder an den anderen religiösen Aktivitäten des Tempels teilzunehmen.Einmal war ein besonderer Feiertag, an dem alle Mönche den Tempel verließen, um ihre Familien zu besuchen oder die Zeit mit Freunden zu verbringen.

So fand sich der junge Diener Kodo allein im Tempel wieder und entschied, dass es für ihn eine gute Gelegenheit war, Zazen zu praktizieren. Er ging in die große Halle und setzte sich ruhig in eine Ecke auf ein Kissen. Es war dunkel und friedlich. Nach einer gewissen Zeit kam die alte Reinmachefrau, seine Chefin, in den Raum und sang leise vor sich hin. Zunächst hatte sie die Anwesenheit des jungen Sawaki gar nicht bemerkt. Aber als sich ihre Augen dann an die Dunkelheit des Raums gewöhnt hatten, sah sie ihn plötzlich in der Ecke sitzen.

Sie fiel vor Überraschung auf die Knie und verbeugte sich wieder und wieder vor ihm. Da erkannte Meister Sawaki, dass Zazen eine ganz besondere Kraft hat, eine wirklich mystische Qualität, die sogar einem armen jungen Diener Achtung und Würde verleiht. Diese Erfahrung hatte eine zentrale Bedeutung für das Leben von Meister Sawaki. Zu jeder Gelegenheit praktizierte er nun Zazen. Je mehr er praktizierte, desto tiefer wurde sein Vertrauen in die Kraft des Zazen.

Seine tägliche Praxis ermöglichte es ihm, sich eine fundierte Basis der buddhistischen Lehre zu erarbeiten und er wurde ein außerordentlich guter Meister. Als er zu lehren begann, war das wahre Verständnis des Buddhismus und des Zazen in Japan bereits im Niedergang begriffen. Viele Priester praktizierten Zazen, wenn überhaupt, nur als formale Pflicht, aber Meister Kodo Sawaki erkannte die natürliche, wesentliche Bedeutung der Zazen-Praxis. Er lehrte uns die Freude an der Praxis. Er führte das Zazen in Japan wieder ein.