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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Sonntag, 31. März 2013

Untersuchung der Augen und der anderen Sinnesorgane, Nagarjuna, MMK, Kapitel 3 (2)


Vers 5
Niemand anderer kann genau dasselbe sehen wie wir selbst, auch wenn er ganz nahe bei uns steht. Genauso wenig kann ein anderer erkennen, wenn wir gar nicht sehen.

Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass ein anderer nicht unsere Gedanken und Bilder im Bewusstsein kennen und erfahren kann.

Obgleich wir mit Worten versuchen, einem anderen Menschen genau zu erklären was wir sehen, gibt es immer nur um eine gewisse Übereinstimmung, aber niemals genaue Gleichheit der Wahrnehmung.
Wir müssen also beim Sehen mehrere Unschärfen und Täuschungen in Kauf nehmen: Unser eigener Vorgang des Sehens unterliegt Täuschungen und Verzerrungen, sodass wir die Wirklichkeit nicht fehlerfrei erkennen können. Darüber hinaus gibt es das Problem der Kommunikation mit anderen, um das Gesehene zu übermitteln und zu erklären.

Allgemein gilt: Unsere Sinne arbeiten letztlich unvollständig, machen Fehler und die entsprechenden Denkprozesse ergeben zusätzliche Unschärfen. Schließlich kann es keine perfekte Kommunikation mit Worten zwischen den Menschen geben.
Obgleich die Funktion des Sehens für uns von zentraler Bedeutung ist, dürfen wir nicht naiv glauben, dass wir die ganze vielfältige Wirklichkeit wirklich sehen und anderen mitteilen können.

Um zur Wirklichkeit zu gelangen müssen wir daher über das materielles Sehen von Formen und Farben hinausgehen.

Vers 6
Obgleich die Funktion des Sehens erhebliche Unsicherheiten und Grenzen hat, dürfen wir sie niemals geringschätzen, sondern wir müssen lediglich die Grenzen kennen und einbeziehen.
Wer seine persönliche Sicht unbedingt durchsetzen will, neigt dazu, die Sichtweise anderer zu bezweifeln und herabzusetzen.

Idealistische Philosophen neigen auch dazu, dem geringe Bedeutung beizumessen was man in der Wirklichkeit sehen kann.
Wenn man zwischen Subjekt und Objekt des Sehens unterscheidet, ist dies eine dualistische Sichtweise. Die Wirklichkeit der Welt ist jedoch ungeteilt. Eine solche umfassende Einheit ist Grundlage der buddhistischen Lehre und Praxis.

Nagarjuna leugnet daher trotz der Unzulänglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung nicht die Wirklichkeit. Er ist kein Nihilist.

Vers 7
Ich folge der herrschenden wissenschaftlichen Meinung, dass Vers 7 nachträglich eingefügt wurde und nicht von Nagarjuna stammt, daher entfällt er.

Vers 8
Die Dualität von dem Ich, das sieht und dem Objekt, das gesehen wird, muss überwunden werden, denn Subjekt und Objekt sind eine Einheit, wie Nagarjuna betont.
Dann existieren die vier Bereiche Verstehen, Wahrnehmung, Handlung und Wirklichkeit ganz real. Dabei ist das Handeln im Augenblick von zentraler Bedeutung.

Wenn wir annehmen, dass die Dinge und Phänomene dieser Welt nicht existieren, kann es überhaupt nichts Wirkliches im Leben und in der Welt geben. Auch nicht in Zukunft.

In diesem Vers zeigt Nagarjuna die Grenzen der materiellen Sichtweise auf, wegen der Trennung von Subjekt und Objekt. Eine solche Trennung, die wir bekanntlich Dualität nennen, hat nur sehr begrenzte Funktionsfähigkeit für unser Leben in der Wirklichkeit. Daran zeigt sich, dass die materielle Dimension zwar eine Teil-Wahrheit aber nicht die ganze umfassende Wirklichkeit ist.

Wenn wir an der Dualität des Materiellen haften bleiben, ist uns daher der Zugang zur umfassenden Wirklichkeit verschlossen.

Vers 9
Die Untersuchung und Erklärung der Sinnesorgane, deren Funktion sowie die Wahrnehmung des Sehens können in derselben Weise beschrieben werden wie die anderen Bereiche, also Hören, Riechen, Schmecken usw..

In der materiellen Dimension dieser Dualität gibt es daher beim Menschen, der hört, riecht, schmeckt usw., genauso wie beim Sehen. Aber in der Wirklichkeit bilden Subjekt und Objekt eine Einheit, die im Augenblick mit dem Handeln zusammenfallen. Erst dadurch wird der Zugang zur Wirklichkeit eröffnet.

Der Mensch ist der sozusagen Träger der Handlungen (als Prozesse), und diese sind die konkrete Wirklichkeit. Aber der Mensch ist als Person nicht die konkrete Basis der Wirklichkeit selbst. Eine solche fundamentale Aussage Nagarjunas ist sicher für die Menschen des Westens überraschend, denn wir sind in unserer Kultur ganz anders sozialisiert. Ob wir es zunächst glauben oder nicht, Nagarjunas Aussage ist richtig.

Freitag, 22. März 2013

Untersuchung der Augen und der anderen Sinnesorgane, Nagarjuna, MMK Kapitel 3 (1)


Vers 1
Es gibt die sinnliche Wahrnehmung des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und das Sinneszentrum im Gehirn.
Diese sechs Sinne sind uns vertraut und selbstverständlich. Wir sehen, hören usw. die Objekte der Sinnesfunktionen.
Die Objekte sind die einzelnen Dinge der materiellen Lebensdimension von unserer Umgebung und auch von uns selbst.

Vers 2
Die Funktion des Sehens erzeugt bei uns die Vorstellung eines Subjekts, das sieht. In der materiellen Dimension gibt es also den Dualismus eines Subjekts, das ein Objekt sieht. Dem Subjekt wird dabei ein individueller Geist zugeordnet.
Einen solchen Geist kann aber die reine Sinneswahrnehmung des Sehens nicht erkennen, denn die Augen sehen nur Objekte außerhalb ihrer selbst.

Da es kaum möglich ist, den eigenen Geist klar zu erkennen und vor Täuschungen sicher zu sein, wird im Buddhismus die Bedeutung eines erfahrenen Lehrers für notwendig angesehen. Er kann uns damit Fakten und Vermutungen über unseren Geist rückkoppeln. Ein wirklich guter Lehrer kann unseren Geist viel klarer erkennen, als wir selbst. Durch genaue Beobachtung mit unseren eigenen Augen können wir uns vor schwerwiegenden Täuschungen bewahren.

Nagarjuna betont, dass wir möglichst unverzerrt sehen sollen; nicht durch eigene Emotionen und Vorurteile verändert. Aber mit der äußeren Wahrnehmung der Dinge durch die Augen, können wir nicht die ganze Wirklichkeit der Dinge und Phänomene erkennen. Denn wir sehen nur die äußeren Formen und Farben.

Vers 3
Die Bilder, die wir durch die Augen wahrnehmen, sind nicht die vollständige Erfahrung der Wirklichkeit. Ein Beispiel dafür ist das Bild des Feuers, das wir sehen, das aber von der Wirklichkeit des Feuers total verschieden ist.
Eine zusätzliche Unsicherheit kommt hinzu, wenn wir dieses Bild beschreiben und subjektiv erklären.
Es handelt sich dabei um den fundamentalen Unterschied zwischen der Vorstellung und den Bildern einerseits und der Wirklichkeit andererseits, die am Beispiel des Gehens im vorigen Kapitel erläutert wurde.

Vers 4
Wir können über gesehene Bilder und die Fähigkeit zu sehen nur sprechen, weil wir auch die Fähigkeit zum Denken haben. Ohne die Verarbeitung der durch Sehen erzeugten Daten im Gehirn können wir uns also nicht in der Welt zurechtfinden und nicht mit anderen verständigen.

Die sensorischen Fähigkeiten der Sinne, die wir uns selbst zuschreiben, sind daher mit unserem Denken unauflösbar verbunden. Gleichzeitig entsteht die Vorstellung eines Ichs, das die Gegenstände der Umgebung sieht. Zudem gibt es Täuschungen, die wir für wahr halten, wie z.B. eine Fata Morgana in der Wüste.

Daraus ergibt sich, dass es erhebliche Unsicherheiten und Fehlerquellen bei der Funktion des Sehens gibt.

Andere Menschen können nicht direkt erkennen, was und wie wir selbst wahrnehmen. Wir machen häufig den Fehler, dass wir glauben, andere Menschen sehen und hören genau dasselbe wie wir. Wenn man z. B. zu einem anderen Menschen sagt: „Ich sehe, dass es dahinten in der Wüste Wasser gibt“, ist diese Aussage über die angebliche Wirklichkeit des Wassers falsch. Es ist eine Sinnestäuschung, oder genauer gesagt wir denken und hoffen, dass es sich um Wasser in der Wüste handelt. Ähnliche Fehler bei der Wahrnehmung gibt es immer wieder im Alltag ohne, dass wir die Fehler erkennen.