Die
subjektive Existenz des Menschen wird aus dem Sanskrit (Svabhava) häufig als mit
Selbstnatur oder auch Selbstexistenz übersetzt. Ich verwende dafür
den Begriff Idealismus, also das
Weltbild und die Lebensphilosophie, die dahinter stehen: nämlich dass Denken, Ideen und Ideale als die wahre Wirklichkeit angenommen werden. Entsprechend
wird das Materielle abgewertet oder sogar als unwirklich bezeichnet. Der
Buddhismus geht darüber hinaus und nimmt die umfassende Wirklichkeit zur
Lebensgrundlage. Das subjektive Denken
in unserem Gehirn kann die Wirklichkeit meist nicht annähernd erfassen, sie ist
nur ein Teil der Wirklichkeit.
Bei
der Wahrnehmung der materiellen Welt mit unseren Sinnesorganen arbeitet unserer
Gehirn durchaus ähnlich, denn auch bei diese
Abbildungen wird nur ein gewisser Teil der Wirklichkeit erkannt: Wir müssen uns
davor hüten das, was wir sehen, hören usw. als die umfassende Realität zu verstehen. Aber gerade um diese große
Realität geht es, wenn wir aus den Täuschungen des Lebens herauskommen wollen,
um unsere Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten auszuschöpfen
Vers
1
Die
totale Existenz ist die Wirklichkeit und gehört niemals zum Subjektiven. Sie wird
von der Vierfachen Wahrheit gesteuert.
Die
Vernunft und die Vierfache Wahrheit bilden immer eine Einheit. Dagegen kann die
subjektive Existenz so verstanden
werden, dass sie weitgehend künstlich
durch die Menschen erzeugt wurde.
Damit
greift Nagarjuna die Aussagen des ersten Kapitels des MMK auf und verweist auf
die vier Grundwahrheiten: Vernunft, äußere Welt, gegenwärtiger Augenblick und Wirklichkeit.
Die
Vernunft wird nicht allein durch das menschliche Gehirn erzeugt, das unsere
Gedanken hervorbringt, sondern sie ist Teil der Realität der Welt und des Universums.
Vers
2
Die
subjektive Existenz wird künstlich von den Menschen erzeugt und ist an unser
Gehirn gebunden. Sie ist daher ein vorübergehendes Phänomen und kann nicht oder
nur sehr begrenzt in die Zukunft fortwirken. Das ist beim Handeln in der
Wirklichkeit anders.
Die
Menschen interessieren sich allerdings für die angeblichen subjektiven Existenzen, weil diese auch von den
Gehirnen andere Menschen erzeugt wurden. Sie gehören aber niemals wirklich zur
realen Welt.
Vers
3
Die
Sinnesreizungen werden ebenfalls im Gehirn
subjektiv verarbeitet und gehören deshalb nicht zur realen Welt.
Die
Sinnesreizungen sind Abbilder der
materiellen Welt, der Formen, Farben, Gerüche usw. aber sie sind diese Wirklichkeit
nicht selbst.
Die
Informationen über die Objekte der materiellen Gegebenheiten der Welt werden im
Gehirn verarbeitet und sind auch in bestimmtem Umfang mit Worten
kommunizierbar. Wir können uns daher über Formen, Farben usw. unterhalten, aber
diese kommunizierten Bilder sind nicht die Wirklichkeit selbst.
Vers
4
Die
subjektive Existenz der Ideen und objektbezogene Existenz der Wahrnehmung
müssen eine Einheit bilden, damit sie
konkrete Wirklichkeit sind und nicht realitätsfremde Abstraktionen und Verzerrungen.
Das
heißt die reale Welt verwirklicht sich, wenn die subjektive und objektbezogene,
objektive Existenz eine Einheit bilden. Als objektive Existenz wird Wahrnehmung
und Sinnesreizung bezeichnet.
Wenn
die wirkliche Existenz realisiert ist, verschwinden realitätsfremde
Abstraktionen und Täuschungen, denn es geht um konkrete Erfahrungen im Hier und Jetzt.
Wir
können uns etwas einbilden und denken, dass etwas Unwirkliches vorhanden sei, denn denken können wir grundsätzlich alles, ob es stimmt oder nicht. Wir sollten uns aber darüber klar sein,
dass Nicht-Existierendes niemals verwirklicht werden kann, auch wenn wir uns
noch so anstrengen.
Das
Gesetz von Ursache und Wirkung gilt ganz grundsätzlich für die Realitäten in dieser
Welt, es kann nicht ausgehebelt werden. Wenn wir uns aber etwas Unwirkliches vorstellen, hat das keine
Ursachen in der Wirklichkeit und ist daher ebenfalls keine Realität.
Vers
6
Nagarjuna
erinnert an Gautama Buddha, der uns dringend aufgefordert hat, alles genau zu beobachten und nicht nach subjektivem
Belieben oder Abneigung auszuwählen oder abzulehnen: bei Fragen der subjektiven
und objektiven Existenz und auch generell bei der Frage der Existenz und der
Nicht-Existenz.
Besonders
eine subjektive Beliebigkeit, nämlich
das anzunehmen und zu unterstützen, was uns gefällt,
ist nicht die Lebensphilosophie des Mittleren Weges.
Vers
7
Katyayana
war ein wichtiger Schüler Gautama Buddhas. Er hatte eine sehr kritische
Einstellung zu langwierigen Diskussionen über Existenz oder Nicht-Existenz.
Derartige
abstrakte Diskussionen waren für ihn überflüssig und führten vom Eigentlichen
des Buddhismus weg. Sie seien weitgehend sinnlos und nicht von hohem Niveau.
Vers
8
In
diesem Vers geht es um die Wirklichkeit, das Dasein, also die wirkliche
Existenz in der Welt. Dabei ist es unmöglich, dass irgendeine Tatsache nicht
wirklich ist.
Ideen,
Gedanken und Bilder sind nicht die Wirklichkeit selbst, sondern nur Abbild und
Ersatz für sie. Wir sollten sie auf keinen Fall mit der Wirklichkeit verwechseln.
Vers
9
Wenn
alles in unserem Leben die authentische Wahrheit behält, benötigen wir keinen Ersatz für das Wahre, z. B. keine
Ideologien und keine fadenscheinigen Heilslehren. Denn ein solcher Ersatz ist
schlicht und einfach unwahr.
Umgekehrt
kann etwas Wahres, auf keinen Fall ein Ersatz sein für etwas Unwahres sein.
Dies kann man auch so verstehen, dass Erleuchtung
und Wirklichkeit übereinstimmen und dass durch die Erleuchtung die Wirklichkeit
nicht neu erzeugt wird: Erleuchtung und Wirklichkeit sind identisch. Durch die
Erleuchtung ändert sich die ursprüngliche Wahrheit also nicht.
Vers
10
Wenn
wir an einen unveränderlichen und
festen, ewigen Kern der Wirklichkeit glauben, widerspricht das der Augenblicklichkeit und Veränderung der
Realität. Eine Augenblicklichkeit kann es gar nicht geben, wenn etwas
unveränderlich ist.
In
der Wirklichkeit sind Konkretes und
Abstraktes immer zu einer Einheit verschmolzen. Aber diese Wirklichkeit ist
von großer Komplexität und daher nicht immer mit dem Verstand präzise erkennbar. Trotzdem ist die Wirklichkeit eine einfache Tatsache: wenn sie durch
Emotionen, Erregungen und sonstige Ideen
und Vorstellungen verzerrt ist, erscheint sie uns unscharf und verschwommen.
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