Nach
dem buddhistischen Weltbild gliedert sich das Universum und insbesondere der
Mensch in fünf Komponenten die in Sanskrit Skanda heißen: 1. Materie, 2.
Sinneswahrnehmung, 3. Denken, 4. Handeln und 5. Bewusstsein. Samskara oder das
wirkliche Handeln im höchsten Zustand des Menschen ist also das vierte Skanda.
In
Chinesisch und Japanisch wird Samskara durch ein Zeichen repräsentiert, das
Handeln oder Tun bedeutet. Ähnliches ist in dem Wörterbuch Sanskrit – Englisch
von Monier – Williams aufgeführt, nämlich zusammenfügen, gut formen, perfekt
machen, vervollständigen, schmücken, reinigen, fertigmachen, vorbereiten, usw.
Damit
wird deutlich, dass dieser Begriff ganz eng mit dem wirklichen Handeln
zusammenhängt. Er unterscheidet sich damit von abstrakten Vorstellungen und
Konzepten oder einem losgelösten Geist. In diesem Kapitel geht es um den
Zusammenhang der subjektiven Existenz mit den vielfältigen Gegebenheiten der
Dinge und Phänomene und mit dem augenblicklichen Handeln in der wirklichen Welt
im gegenwärtigen Augenblick.
Das
wirkliche Handeln kann man als Schnittstelle zwischen der subjektiven Existenz
und der heterogenen Welt verstehen. Und das wirkliche Handeln in der Realität
kann sich nur vollziehen, wenn wir im Gleichgewicht des Mittleren Weges sind.
Ich
habe daher den Begriff „wirkliches Handeln“ als Übersetzung für das Wort
Samskara gewählt. Für mich ist damit das wirkliche Handeln in der wirklichen
Welt im gegenwärtigen Augenblick bezeichnet.
Vers
1
Wenn
in einer Gesellschaft oder Gruppe Täuschungen und Betrug normal sind, ist die
Wirklichkeit oder Wahrheit bedeutungslos geworden, und es gibt keinen Platz für
Wahres, Heilige und Erleuchtete.
In
einer solchen Welt ist es nicht bedeutungsvoll, das Leben auf der Wirklichkeit
aufzubauen und nach der Wahrheit zu leben.
Vers
2
In
einer Welt der Täuschung und des Betruges ist alles Wesentliche verschwunden.
Im Gegensatz dazu hat Gautama Buddha ein Leben im ruhigen Gleichgewicht gelehrt.
Er wird hier bei Nagarjuna als Heiliger
bezeichnet.
Ich
habe den Sanskrit - Begriff Shunyata als
Gleichgewichtszustand übersetzt. Denn die üblichen Begriffe wie Leerheit oder
Leere, die im Westen häufig benutzt werden, sind eher irreführend. Denn es geht
nicht um das Nichts, sondern gerade um die Wirklichkeit der Welt und des
Lebens. Shunyata bezieht sich also auf eine Welt, die nicht durch Ideologien
oder sinnliche täuschende Wahrnehmungen sowie Emotionen verdeckt und verzerrt
ist, sodass für mich der Begriff Zustand
des Gleichgewichts besser geeignet erscheint.
Vers
3
Unsere
subjektiven Gedanken sind weitgehend getrennt von der Realität und nicht an sie
gebunden. Wenn uns das klar ist, können wir erkennen, dass die wirkliche Welt
sich direkt vor uns manifestiert. Dadurch ist wahres Sehen erst möglich, das
sich von der Subjektivität unterscheidet.
Ein
solcher Zustand in der sich bewegenden Welt ist im Gleichgewicht und durch das
Wort Shunyata gekennzeichnet.
Vers
4
Alle
Abstraktionen vollziehen sich in unserem Gehirn und werden oft durch Begriffe
gekennzeichnet, die ebenfalls abstrakte Inhalte haben. Beispiele sind:
Gerechtigkeit, Frieden, Erleuchtung und auch Liebe, wir nehmen oft mehr oder
minder bewusst an, dass sie unabhängig vom konkreten
Handeln sind.
Aber
solche Abstraktionen sind nicht die Wirklichkeit denn sie bestehen aus
Gedanken, Ideen und Worten.
Wenn
wir ganz von solchen mentalen Abstraktionen ausgefüllt sind, fragt es sich, wo
die wirkliche Welt existiert.
Vers
5
Eine
isolierte abstrakte Welt ist in der Wirklichkeit nicht vorhanden und die
wirkliche Welt ist auch nicht an Abstraktionen gebunden.
Wenn
sich also abstrakte Ideen und Ideologien selbständig machen und von der
Wirklichkeit ablösen, so leben wir in einer Scheinwelt,
die oft genug in Katastrophen führt, wie z.B. der faschistische Imperialismus.
Wenn
wir den gegenwärtigen Augenblick als die einzige reale Zeit annehmen, gibt es
kein Älterwerden und kein Siechtum zum Tode. In dem ganz kurzen Augenblick kann
es auch keine Änderung und keinen Wandel geben, weil die Zeit zu kurz ist.
Vers
6
In
diesem Kapitel geht es um die Wirklichkeit der Dinge und Phänomene im
jeweiligen Augenblick, die für sich da sind. Nagarjuna wählt das Beispiel von
Milch und Joghurt, der aus der Milch gewonnen wird. Milch und Joghurt sind
jeweils eine eigene Wirklichkeit.
Da
wir gedanklich den Prozess der Joghurt-Herstellung aus der Milch kennen, neigen
wir dazu zu sagen, dass der Joghurt aus der Milch entstanden ist und dass er
daher in der Milch vorher bereits vorhanden gewesen sein muss. Dies ist jedoch
ein gedachter Zusammenhang im zeitlichen Ablauf.
In
der Wirklichkeit des Augenblicks existiert beides jeweils für sich. Die
Verbindung wird durch das Denken
hergestellt und ist damit nicht mehr Wirklichkeit.
Der
Zen – Meister Dôgen verwendet in dem Kapitel der Sein – Zeit das alte indische Beispiel von Feuerholz und Asche und
interpretiert es neu: Wenn das Feuerholz vollständig verbrannt ist, wird es aus
unserer Erfahrung zu Asche, aber dieser Zusammenhang wird durch das Denken
hergestellt. Dôgen sagt, dass das Feuerholz eine eigene Wirklichkeit im Augenblick hat und dass die Asche etwas
anderes in einem anderen Augenblick ist.
Vers
7
Wenn
es nur ein kleines Ungleichgewicht gibt, kann das Gleichgewicht selbstverständlich
niemals existieren. Wenn wir daher nicht im Gleichgewicht sind, können wir die
großartige Erfahrung dieses Gleichgewichts von uns selbst und der Welt nicht
erleben. Im unbalancierten Zustand können wir also niemals das Gleichgewicht
verwirklichen und erfahren.
Das
Gleichgewicht ist auch in Zukunft unmöglich.
Vers
8
Der
Zustand im Gleichgewicht ist die Grundlage intuitiver Entscheidungen und klaren
intuitiven Wissens. Dies wurde von den großen Meistern und Heiligen gelehrt.
Sie
sagten, dass der Zustand im Gleichgewicht die ewige Wahrheit selbst ist, also
die klare Sicht und das Verständnis dieser wirklichen Welt.
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