Die
Geburt ist der Anfang und der Tod das Ende des Lebens. Normalerweise feiern wir
die Geburt und trauern beim Tod eines Menschen. Nach dem Mittleren Weg des
Buddhismus ist es nicht sinnvoll, weder überschwänglich optimistisch noch total
pessimistisch zu sein. Es ist nicht sinnvoll, sich in übergroße Emotionalität
des Glücks und der Trauer zu verlieren. Beide Extreme treten vor allem auf,
wenn bei einem Menschen der Idealismus oder der Materialismus bei weitem
überwiegt.
In
diesem Kapitel wird Beginn und Ende, also Geburt und Tod, aus buddhistischer
Sicht untersucht. Dabei ist zu beachten, dass nach der Lehre der Wiedergeburten
vor allem in der vorbuddhistischen Zeit ein konstanter Seelenkern gezwungen
ist, von einem Leben in das Nächste weiter zu gehen, um schlechtes Karma
abzuarbeiten. Dies ist mit dem Atman – Glauben verbunden, den Gautama Buddha in
der herkömmlichen Form ablehnte, weil er dem Überwinden des Leiden schadete.
Vers
1
Nagarjuna
zitiert Gautama Buddha, der vor seinem Tode klar sagte, dass das jetzige Leben
mit all seinen Höhen und Tiefen ganz
ausgezeichnet sei. Es habe den höchsten Wert. Wir werden also nicht durch
unser Leben geknechtet und gefesselt, so als ob wir einen Ring durch die Nase
hätten, wie die Zugtiere im alten Indien.
Unser
ist also ein Grund zur größten Freude Leben, auch wenn es Höhen und Tiefen hat.
Buddhas Lehre unterscheidet sich damit fundamental von den Glaubensreligionen,
die das jetzige Leben als Jammertal einschätzen und ein paradiesisches
jenseitiges Leben voraussagen.
Vers
2
Idealisten
neigen zu Übertreibungen, zum Besten und zum Schlechtesten, sie leben nicht im
Gleichgewicht. Materialisten kalkulieren meist zu ihrem eigenen egoistischen Vorteil
und bewerten Situationen so, dass sie für sich selbst das Beste herausholen.
Diese beiden Lebensformen unterscheiden
sich grundsätzlich von dem Mittleren Weg im Buddhismus, den Gautama Buddha
schon vor 2500 Jahren als den einzig richtigen gelehrt hatte.
Ähnliches
gilt für die Weltanschauung von der Zeit. Bei dem Ansatz der linearen Zeit vergleichen wir einen
früheren mit einem späteren Zustand; dies ist ein gedanklicher Vorgang des
Vergleichens und Bewertens. Die existentielle Sein–Zeit gibt es aber nur im
gegenwärtigen Augenblick. Prozesse in der linearen Zeit sind nicht die Sein – Zeit des Augenblicks.
Sie mögen für organisatorische und technische Aufgaben manchmal angemessen
sein, aber sie können die Wirklichkeit der Sein–Zeit im Augenblick nicht
realisieren.
Vers
3
Bevor
sich die Geburt ereignet hat, gehören Altern und Tod zur Zukunft und sind damit
keine Wirklichkeit. Nach der Geburt besteht jederzeit die Möglichkeit des Todes,
und auch Altern ist ganz natürlich.
Geburt
und Tod können auch symbolisch verstanden werden: Die Geburt einer Idee ist
deren Beginn und das Ende ist deren Tod, oft die Klarheit einer Täuschung als
Idee aufgesessen zu sein.
Handeln
hat immer Auswirkungen, die in der Wirklichkeit
der Welt bestehen bleiben. Sie sind also weiter in allen folgenden
Augenblicken wirksam. Insofern kann man auch davon sprechen, dass die Wirkungen
unserer Taten „ewig“ sind.
Vers
4
In
der Welt kann nichts gegen das Gesetz von Ursache und Wirkung existieren und es
gibt nichts ohne Vernunft und gegen rationale Ursachen.
Es
ist für den denkenden Geist unmöglich, Altern und Tod präzis und genau voraus
zu denken, sondern dabei ist immer ein hohes Maß an wirklichkeitsfremden Spekulation
relevant, die oft zusätzlich von starken Emotionen, z. B. Angst, gesteuert
werden.
Vers
5
In
der Existenz-Zeit (Sein-Zeit) des Augenblicks ist die Geburt nicht mit dem
Altern und Tod verbunden. Denn eine solche Verbindung wird nur vom denkenden
Geist hergestellt. Sie sind eigenständige gegenwärtige Augenblicke der
Sein–Zeit.
Die
Sehnsucht nach dem Tod entspringt häufig dem Umstand der Verantwortung des
Lebens zu entfliehen. Eine solche Flucht ist mit der Vernunft nicht vereinbar.
Die
Geburt wird von den Menschen oft magisch interpretiert, und auch dies ist gegen
das Gesetz von Ursache und Wirkung, also gegen die Vernunft. Allerdings ist es
richtig, dass niemals alle Faktoren und Ursachen der Geburt mit dem denkenden
Verstand erfasst werden könne.
Vers
6
Es
ist unmöglich, mit dem denkenden Verstand absolute Klarheit für das Altern und
die Geburt in Bezug auf den Augenblick der Gegenwart zu erlangen. Es gibt zudem
keinen zeitlichen Prozess im gegenwärtigen Augenblick, der nur ein Punkt der
gedachten linearen Zeit ist, aber das wahre Sein verwirklicht.
Altern
und Geburt gibt es in sehr verschiedenen Arten und Formen, die wirkliche
jeweilige Situation kann dabei nicht vollständig durchschaut werden.
Vers
7
Die
reale Praxis und die Methode des wahren Handelns sind eine Einheit. Genauso
sind die äußere Form und Charakteristika der Dinge und Phänomene eine
unteilbare Einheit.
Die
Sinneswahrnehmung in der wirklichen Welt und die Reizungen der Sinnesorgane
sind ebenfalls eine Einheit. Dies gilt insbesonder für das, was wir wahrnehmen.
Auf
dem Mittleren Weg ist dies alles eine einfache Tatsache der wirklichen Welt,
die direkt und unbestreitbar vor uns existiert.
Vers
8
Der
Wert unseres Lebens hängt wesentlich davon ab, dass wir das Ende einbeziehen.
Unser Dasein ist kurzlebig und das macht es so überaus wertvoll.
Aber
unabhängig davon, ob wir den Wert des Lebens und der Welt erkennen, sind die
verschiedenen Dinge und Phänomene wirklich vorhanden, in ihrer Würde und
Schönheit. D.h. ihr Wert ist unabhängig davon, ob wir ihn erkennen.
Es
ist sicher richtig, dass wir es bisher häufig versäumt haben, den Wert der
Schönheit des Lebens wirklich zu erkennen.
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