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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Donnerstag, 23. Mai 2013

Untersuchung der materiellen Elemente, Nagarjuna, MMK, Kapitel 5


Die materiellen Elemente der indischen Philosophie unterscheiden sich von den Elementen der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung der Gegenwart. Die materiellen Elemente sind: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum.

Dabei steht das Element Erde für feste Materie, Wasser für Flüssiges, Feuer für Verbrennung, Luft für Gase und der Raum gibt die reale räumliche Dimension dieser Welt wieder. Die indische Gliederung der physikalischen Elemente ist also wesentlich einfacher als bei uns, denn wir definieren die Elemente auf der Grundlage der Atome und Moleküle, unabhängig von den Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig. Gleichwohl sind indischen Elemente für die Untersuchungen Nagarjunas durchaus sinnvoll. Denn sie spiegeln die materielle Welt wider, die wir auch als Außenbereich und Umgebung verstehen können. Dabei ist die räumliche Dimension besonders wichtig, denn sie unterscheidet die materielle von der idealistischen Lebensdimension, in der es im Allgemeinen keine räumliche Zuordnung gibt.

Häufig wird im Buddhismus auch von der Form gesprochen, die eine materielle Dimension dieser Welt ist und dreidimensional räumlich verstanden wird. Es ist daran zu erinnern, dass die materialistische Weltsicht und Lebensphilosophie eine Trennung von Subjekt und Objekt beinhaltet, sodass sie nur als Teilwahrheit verstanden werden kann. Naturwissenschaft und Technik gehören dieser materiellen Teilwirklichkeit an. Wir dürfen dabei nicht vergessen, welch große Fortschritte diese Denkweise für die Menschheit erbracht hat, aber welche Gefahren auch in der Einseitigkeit dieser Weltsicht entstehen können. Wenn das Materialistische im menschlichen Leben überwiegt, fehlen ideelle und spirituelle Bereiche und oft wird nur nach materiellem Vorteil und Genuss gestrebt. Dabei verödet das Leben.

Nagarjuna untersucht in diesem Kapitel beispielhaft den Raum und sagt, dass die anderen materiellen Elemente in gleicher Weise zu verstehen sind.

Eine umfassende Sicht unseres Lebens und der Welt beschränkt sich aber nicht auf die materielle Dimension. Form und Inhalt bilden immer eine Einheit, wenn wir wirkliche Erfahrung voraussetzen. Sie lassen sich nur im Denken und in der Theorie als zwei verschiedene Dimensionen unterscheiden. Da die buddhistische Lehre über den Materialismus und die materielle Dimension hinausgeht, besteht daher immer eine solche Einheit von äußerer Form und sinnhaftem Inhalt.

Vers 1
Wir können den wirklichen Raum, so wie er ist, erfahren und erleben, wenn die objektiven Charakteristika und die subjektiven Vorstellungen eine Einheit bilden. Bei einer Abspaltung der materiellen Dimension vom Inhalt können wir also die Wirklichkeit und Wahrheit nicht erfahren und nicht erkennen.

Charakteristika und Merkmale sind vom Menschen hinzugesetzt und sind eigentlich in der Wirklichkeit nicht vorhanden. Wenn also die Charakteristika verschwinden kann die wirkliche Welt realisiert werden.

Eine Situation ohne Charakteristika mag daher unser ursprünglicher Zustand sein, in dem wir uns noch nicht von der Wirklichkeit getrennt haben. Dann kommen unsere intuitiven Fähigkeiten zum Zuge und wir können unser Handeln und Leben klar und umfassend gestalten. Für Künstler und Sportler ist es unumgänglich, das unterscheidende Beobachten und Denken auszuschalten, um ihre vorhandenen Fähigkeiten „abrufen“ zu können.

Besonders wirkungsvoll ist in diesem Sinne die Praxis des Zazen.

Vers 2
Wir ordnen den Dingen, die uns umgeben, meist bestimmte Charakteristika zu, die oft sogar willkürlich gewählt werden. Dadurch können wir die Dinge von einander unterscheiden und uns in der Welt mit anderen verständigen.

Besonders bewertende Charakteristika und Merkmale bergen aber die Gefahr in sich, dass wir sie wie Wirklichkeiten verstehen und kommunizieren. Dadurch können wir uns selbst und andere leicht täuschen.

Vers 3
Nagarjuna vertieft seine Überlegungen zu den Charakteristika der Dinge, also die räumlichen Unterscheidungen und Merkmale. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden.

Wenn wir z.B.: von einem Wasserstrudel reden und dabei auf die Gefahren hinweisen, die er für Schwimmer oder kleine Boote bedeutet, so ist dies effizient und nützlich zur Kommunikation, aber der Wasserwirbel ist selbstverständlich Teil des Flusses und besteht wie dieser aus Wasser. Eigentlich ist daher der Strudel gar nicht getrennt vom Wasser und kein eigenes Ding. Die Merkmale des Strudels sind in Bezug auf die Gefahren besonders wichtig, sind also Attribute, die wir an den bestimmten Ort im Wasser zuordnen. Der Strudel kann z.B. einen Schwimmer in die Tiefe ziehen, sodass er in große Gefahr kommt oder sogar ertrinkt.

Wenn wir die Charakterisierung durch einen Strudel, die wir selbst vornehmen, weglassen, so beschreibt dies die Wirklichkeit ohne Merkmale. Die Beschreibung des Wasser-Wirbels würde dann nur so lauten, dass er sich in bestimmter Weise im Kreis dreht, aber eine Bewertung nach der Gefährlichkeit würde entfallen.

Nagarjuna sagt uns damit, dass wir bewertende Charakteristika immer in der Einheit mit den Dingen und Phänomenen verstehen und nicht abtrennen.

Vers 4
Wenn ein Charakteristikum nicht erkannt und gesehen wird, gibt es dieses überhaupt nicht. Man kann nicht sagen, dass es existiert, denn die Charakteristika sind nicht unabhängig von der Sache, dem sie zugeordnet sind.

Meist sind die Charakteristika bildhaft. Wenn die Bilder nicht vorhanden sind, gibt es demnach auch keine Charakteristika.


Vers 5
Die kennzeichnenden Bilder müssen klar erkannt werden, damit auch die Charakteristika erkennbar sind. Die räumlichen Charakteristika sind wie im vorherigen Vers dargelegt Bilder.

Das wirkliche Erkennen der Charakteristika ist mit dem wirklichen Erkennen des Sachverhaltes verknüpft. Wenn wir uns in unserer Vorstellung Merkmale ausdenken, die mit den Merkmalen der Sache nicht identisch sind, erkennen wir nicht einmal die materielle Dimension unserer Welt richtig. Das richtige Erkennen der Charakteristika ist identisch mit den Charakteristika selbst.

Vers 6
Es ist eine alte Frage der Menschheit, ob die Wirklichkeit existiert oder nicht. Aufgrund des Denkens im Idealismus und der Wahrnehmung im Materialismus kann man diese Frage nicht beantworten. Und sie kann die Menschen endlos beschäftigen und verwirren.

Es gibt eine intuitive Sicherheit, dass diese Welt wirklich existiert, und damit die obige Frage überflüssig macht.

Nagarjuna wurde häufig als Nihilist eingestuft und dass er die Wirklichkeit abstreitet und für nicht existent erklärt. Dies ist meines Erachtens völlig falsch und wird heute auch von ernsthaften Wissenschaftlern kaum noch vertreten.

Im Zen – Buddhismus gibt es viele Geschichten, wie der zweifelnde Geist durch ein reales Erlebnis durchbrochen wird. Beim Empfinden eines starken Schmerzes ist für uns die Wirklichkeit unabhängig vom Theoretisieren ganz klar und evident. Das ist für wissende und unwissende Menschen gleich.

Vers 7
Die Vorstellungen und Worte von Existenz und Nicht-Existenz müssen von der Wirklichkeit unterschieden werden. Auch die Einteilung in die fünf materiellen Elemente sind Konzepte und nicht die Wirklichkeit selbst. Das gedachte Konzept von Wasser kann niemals unseren Durst löschen.

Vers 8
Die Wirklichkeit kann als Dinge und Phänomene gesehen werden, die sich direkt vor uns befinden. Es ist unsinnig diese Welt der Dinge und Phänomene abzustreiten. Das wäre sehr töricht.

Törichte Menschen wollen die Wirklichkeit der Dinge und Phänomene nicht sehen, aber die Dinge und Phänomene sind etwas Ruhiges und Angenehmes.

Dies mag für Menschen, die in lauten und verunreinigten Städten leben, seltsam oder sogar absurd erscheinen. Aber es ist von entscheidender Bedeutung, ob wir selbst im Gleichgewicht und unserem Zentrum leben. Wenn dies der Fall ist, werden wir von der Unruhe unserer Städte nicht angesteckt, sodass diese Unruhe eigentlich für den Menschen überhaupt nicht mehr existiert. Dies ist eine zentrale Aussage der buddhistischen Theorie und Praxis.

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