Vers 1
Es gibt die sinnliche
Wahrnehmung des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und das
Sinneszentrum im Gehirn.
Diese sechs Sinne sind uns
vertraut und selbstverständlich. Wir sehen, hören usw. die Objekte der
Sinnesfunktionen.
Die Objekte sind die
einzelnen Dinge der materiellen Lebensdimension von unserer Umgebung und auch
von uns selbst.
Vers 2
Die Funktion des Sehens
erzeugt bei uns die Vorstellung eines Subjekts, das sieht. In der materiellen
Dimension gibt es also den Dualismus eines Subjekts, das ein Objekt sieht. Dem
Subjekt wird dabei ein individueller Geist zugeordnet.
Einen solchen Geist kann
aber die reine Sinneswahrnehmung des Sehens nicht erkennen, denn die Augen
sehen nur Objekte außerhalb ihrer selbst.
Da es kaum möglich ist, den
eigenen Geist klar zu erkennen und vor Täuschungen sicher zu sein, wird im
Buddhismus die Bedeutung eines erfahrenen Lehrers für notwendig angesehen. Er
kann uns damit Fakten und Vermutungen über unseren Geist rückkoppeln. Ein
wirklich guter Lehrer kann unseren Geist viel klarer erkennen, als wir selbst.
Durch genaue Beobachtung mit unseren eigenen Augen können wir uns vor
schwerwiegenden Täuschungen bewahren.
Nagarjuna betont, dass wir möglichst
unverzerrt sehen sollen; nicht durch eigene Emotionen und Vorurteile verändert.
Aber mit der äußeren Wahrnehmung der Dinge durch die Augen, können wir nicht
die ganze Wirklichkeit der Dinge und Phänomene erkennen. Denn wir sehen nur die
äußeren Formen und Farben.
Vers 3
Die Bilder, die wir durch
die Augen wahrnehmen, sind nicht die vollständige Erfahrung der Wirklichkeit.
Ein Beispiel dafür ist das Bild des Feuers, das wir sehen, das aber von der
Wirklichkeit des Feuers total verschieden ist.
Eine zusätzliche
Unsicherheit kommt hinzu, wenn wir dieses Bild beschreiben und subjektiv
erklären.
Es handelt sich dabei um den
fundamentalen Unterschied zwischen der Vorstellung und den Bildern einerseits
und der Wirklichkeit andererseits, die am Beispiel des Gehens im vorigen
Kapitel erläutert wurde.
Vers 4
Wir können über gesehene
Bilder und die Fähigkeit zu sehen nur sprechen, weil wir auch die Fähigkeit zum
Denken haben. Ohne die Verarbeitung der durch Sehen erzeugten Daten im Gehirn
können wir uns also nicht in der Welt zurechtfinden und nicht mit anderen
verständigen.
Die sensorischen Fähigkeiten
der Sinne, die wir uns selbst zuschreiben, sind daher mit unserem Denken
unauflösbar verbunden. Gleichzeitig entsteht die Vorstellung eines Ichs, das
die Gegenstände der Umgebung sieht. Zudem gibt es Täuschungen, die wir für wahr
halten, wie z.B. eine Fata Morgana in der Wüste.
Daraus ergibt sich, dass es
erhebliche Unsicherheiten und Fehlerquellen bei der Funktion des Sehens gibt.
Andere Menschen können nicht
direkt erkennen, was und wie wir selbst wahrnehmen. Wir machen häufig den
Fehler, dass wir glauben, andere Menschen sehen und hören genau dasselbe wie
wir. Wenn man z. B. zu einem anderen Menschen sagt: „Ich sehe, dass es dahinten
in der Wüste Wasser gibt“, ist diese Aussage über die angebliche Wirklichkeit
des Wassers falsch. Es ist eine Sinnestäuschung, oder genauer gesagt wir denken
und hoffen, dass es sich um Wasser in der Wüste handelt. Ähnliche Fehler bei
der Wahrnehmung gibt es immer wieder im Alltag ohne, dass wir die Fehler
erkennen.
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