MMK, Kap. 2 Teil 1: Untersuchung der Wirklichkeit von „gegangen“ und „nicht gegangen“ (Gatagata pariksha)
In diesem zweiten Kapitel behandelt Nagarjuna ganz grundlegende buddhistische Aussagen anhand der scheinbar einfachen Tätigkeit des Gehens und der Bewegung, die für uns alle selbstverständlich sind, aber selten wirklich genau untersucht werden. Dabei sollen das Gehen als Handlung, die Bewegung der Beine und Arme und das Gleichgewicht des gegenwärtigen Augenblicks analysiert werden; und nicht zuletzt die Beziehung des Gehens zum Menschen als Person, der wirklich geht.
Die wesentliche Aussage Nagarjunas ist meines Erachtens, dass wir uns von fixierten Abstraktionen wie dem Ich oder auch eines angeblich genau definierten Menschen lösen müssen und das Handeln selbst im Augenblick, also hier das Gehen, zur Grundlage unserer Lebensführung machen. Das bedeutet nicht, dass wir Begriffe wie Ich, Selbst, Mensch, Geher usw. in unserer Kommunikation völlig weglassen sollen oder auch nur können, sondern, dass wir uns über die Zusammenhänge beim Denken, bei der Wahrnehmung, aber vor allem beim Handeln und in der höchsten spirituellen Ebene der Erleuchtung bewusst sind und Klarheit darüber gewinnen. Das bezeichnet Buddha als Erwachen und das ist der Ausweg aus dem Leiden, nicht mehr und nicht weniger.
Bei der Lehre des Buddhismus unterscheide ich vier Lebensphilosophien, deren entsprechende Lebenskonzepte und die Realitäten des Buddhismus:
1. Den Idealismus, der den Schwerpunkt auf die Ideen, Gedanken und auch auf Ideale und Kreativität usw. legt.
2. Den Materialismus, der die Formen und die Materie in den Mittelpunkt stellt und als das Wichtigste annimmt. Dies ist auch die naturwissenschaftliche Dimension der Welt und des Menschen.
3. Eine ganz praktische Lebens-Philosophie des Handelns, die im Westen wenig entwickelt wurde, aber zentrale Bedeutung im Buddhismus hat.
4. Die höchste Lebensphilosophie und Praxis, die wir als Erwachen, Erleuchtung oder richtig verstandene Leerheit bezeichnen.
Beim Idealismus und auch beim Materialismus hat unsere Gehirntätigkeiten zentrale Bedeutung. Dies leuchtet beim Idealismus der Ideen, Vorstellungen und Gedanken unmittelbar ein, da sie im Gehirn ablaufen. Aber auch der Materialismus besteht aus intensiver Gehirntätigkeit, die aus den wahrgenommenen Reizen der Objekte um uns herum in unserem Bewusstsein die Bilder und Zusammenhänge erzeugt. Letztlich werden also die aus der Umgebung aufgenommenen Sinnesreize in entsprechende Daten umgesetzt, die dann im Gehirn verarbeitet und vom Bewusstsein wahrgenommen werden.
Idealismus und Materialismus sind daher intellektuelle Philosophien des Dualismus. Sie haben besonders im Westen überaus große Bedeutung erlangt z.B. im Idealismus von Plato, Hegel, usw. auf der einen Seite und den philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaft und Technik auf der anderen Seite. Beide Lebensphilosophien erscheinen unvereinbar, sind aber aus meiner Sicht ähnliche Ansätze, bei der das Denken und die Gehirntätigkeit von zentraler Bedeutung sind. Der Buddhismus geht aber darüber hinaus und ist näher am wahren Leben.
Es gibt nämlich eine ganz andere Dimension des Lebens, die für die Praxis meist viel wichtiger ist: Das Handeln, das eher intuitiv im Augenblick vor sich geht; ohne viel zu intellektualisieren, manchmal mit Denken und manchmal ohne. Typische Beispiele dafür sind der Sport und die Kunst wie z. B. Malen oder Musizieren. Dabei spielen das Denken und der Intellekt eine untergeordnete Rolle. Denken kann sogar das präzise und harmonische Handeln im Augenblick empfindlich stören oder ganz blockieren. Ich sage daher auch häufig, dass Sport eine sehr gute Voraussetzung für die Praxis und das Erlernen des Buddhismus ist!
Die umfassende Lebensphilosophie des Buddhismus wurde vor ca. 2.500 Jahren von Gautama Buddha entdeckt und entwickelt; sie befasst sich hauptsächlich mit dem Handeln und der Praxis des Lebens. Mit welchem Ziel? Um unser Leiden zu vermindern oder ganz zu vermeiden, kurz um besser zu leben.
Es geht nicht wesentlich darum, über die Praxis nur zu reflektieren, sondern sie einzubeziehen und zu integrieren. Die höchste Form einer solchen Integration ist das Erwachen, das nach meiner festen Überzeugung nicht ohne die buddhistische Praxis, zum Beispiel Samadhi/Zazen und nicht allein aus dem Denken und der Vorstellung erreichbar ist. Durch diese umfassende buddhistische Lebensphilosophie ist es nach Gautama Buddha möglich, das Leiden unseres Lebens zu erkennen, die Ursachen herauszufinden und durch den Achtfachen Pfad im praktischen Leben zu überwinden. Dabei sind die Meditation und der Samadhi von zentraler Bedeutung, denn ohne sie kann es keine Erleuchtung geben.
Beim Samadhi ist wiederum das einfache Sitzen im Lotus – Sitz zentral, ohne Gedanken und Irritationen des Geistes, das im Zen – Buddhismus Zazen genannt wird.
Auch die anderen Glieder des Achtfachen Pfades sind sehr praxisnah und an der realen Lebenswelt orientiert. Daraus wird deutlich, dass idealistisches Denken nicht zur Befreiung des Menschen führen kann und dass materialistischer Egoismus niemals die Erfüllung unseres Lebens erbringt, sondern, von Gier getrieben, in die menschliche Verödung und Sinnentleerung führt.
Mittwoch, 11. Januar 2012
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