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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Dienstag, 10. Juni 2008

Nichts Falsches tun und die buddhistischen Gelöbnisse (Teil 2)

Fragen und Antworten

Bei mir gibt es immer noch Unklarheiten über die Beziehung zwischen den Gelöbnissen und dem wirklichen Leben. Wenn wir uns nicht im gegenwärtigen Augenblick auf die Gelöbnisse stützen, wie können wir dann überhaupt hoffen, die Gelöbnisse einzuhalten?

Ich fürchte, wir können das nicht. Die Gelöbnisse vollständig einzuhalten ist eine hoffnungslose Angelegenheit. Je strenger wir das versuchen, desto schwieriger wird es. Gautama Buddha, Meister Dogen und die großen alten Meister haben alle den Versuch aufgegeben, die Gelöbnisse absolut und vollständig einzuhalten. Dies klingt wirklich seltsam, aber es ist wahr. Sie fanden nämlich, dass sie die Gelöbnisse nicht durch ihre bewussten Bemühungen befolgen konnten und sie gingen das Problem daher aus einer ganz anderen Richtung an: Sie fanden, dass ihr Leben einfach und klar wurde, wenn sie jeden Tag Zazen praktizierten. Sie fanden in der Tat, dass es dann sogar unmöglich ist, die Gelöbnisse nicht zu befolgen. Sie haben die Gelöbnisse gewissermaßen indirekt durch die Übungspraxis des Zazen eingehalten.

In unserem Leben müssen wir Augenblick für Augenblick Entscheidungen treffen. Sie sind also unmittelbar und daher abhängig von dem Zustand unseres Körpers und Geistes im Gegenwärtigen Augenblick und von der Umgebung. Wenn unser Körper und Geist im Gleichgewicht und in der richtigen Haltung sind, spiegeln unsere Handlungen dies wider. Wenn wir selbst „richtig“ und im Gleichgewicht sind, sind unsere Handlungen ebenfalls richtig. Daher ist der einzige Weg, die Gelöbnisse einzuhalten, unseren Körper und Geist durch die Übungspraxis des Zazen zu verändern. Wenn wir Zazen praktizieren, kommt unsere ursprüngliche Natur zum Vorschein – unsere Buddhanatur. Wir sind dann in jedem Augenblick in Harmonie mit dem Universum. In einem solchen Zustand ist es für uns dann unmöglich, die Gelöbnisse zu brechen. Wenn wir Zazen praktizieren, werden wir zu einem Menschen, der die Gelöbnisse überhaupt nicht missachten kann.

Sie haben erwähnt, dass die moralische Ordnung in den meisten Religionen auf dem Wort Gottes beruht. Was ist die Grundlage der buddhistischen Moral?

Die Grundlage der buddhistischen Moral ist die Wirklichkeit selbst. Dies ist die Ordnung des Universums und es sind die Tatsachen des Lebens, mit denen wir in jedem Augenblick zu tun haben. Für einen Buddhisten ist es das Wichtigste, diese Tatsachen sehr klar und genau zu sehen. Es geht darum, die reale Situation so zu erkennen, wie sie wirklich ist. Die buddhistische Moral ist dort, in dieser Situation selbst enthalten. Mit anderen Worten hat die buddhistische Moral keine andere Grundlage als die buddhistische Moral selbst. Um das zu verstehen, müssen wir erkennen, dass Moral kein theoretisches oder intellektuelles Problem ist. Moral ist vor allem ein praktisches Problem des Handelns, ein wirkliches Problem. Es ist das Problem, was wir hier und jetzt tun, und die Antwort ist in dieser Situation selbst enthalten. Dies ist eine Tatsache und Tatsachen sind die Grundlage der buddhistischen Moral.

In einem früheren Vortrag sagten Sie, dass es das Eingangstor zum buddhistischen Leben ist, wenn man die Gelöbnisse empfängt. Was bedeutet es, die Gelöbnisse zu empfangen?

Die Gelöbnisse zu empfangen bedeutet: die formale Bestätigung unseres Willens, den buddhistischen Lehren zu folgen und unsere klare Entscheidung, Buddhist zu werden. Wir „empfangen“ dabei diese Gelöbnisse von unserem Meister in einer besonderen Zeremonie, um diese Entscheidung sichtbar zu machen.

Könnten Sie die Zeremonie beschreiben?

Ja, es ist eine einfache Zeremonie. Zu Anfang sagen diejenigen, die die Gelöbnisse empfangen, dass die Natur des Lebens sich dauernd verändert und dass sie die großen Gelöbnisse des Gautama Buddhas empfangen wollen. Dann spricht der Meister jedes Gelöbnis laut vor und fragt den Schüler, ob er es einhalten kann. Der Meister fragt dieselbe Frage dreimal und der Schüler muss jedesmal antworten: „Ja, ich kann.“ Wenn die Gelöbnisse so übertragen worden sind, sitzt der Schüler als Empfänger dieser Gelöbnisse auf dem Platz des Meisters und der Meister lobt ihn, dass er die Gelöbnisse empfangen hat, und sagt, dass jene, die die Gelöbnisse empfangen haben, unmittelbar den Zustand von Gautama Buddha erlangen. Sie stehen dann auf derselben Ebene wie Buddha. Sie sind dann Söhne und Töchter von Gautama Buddha. So werden die Empfänger der Gelöbnisse Buddhisten und Schüler des Meisters.

Es ist also eine einfache Zeremonie, aber ich glaube, dass sie sehr wichtig ist. Unser Leben erhält seine Form durch unsere Handlungen. Wenn wir entscheiden, den buddhistischen Lehren zu folgen, sollten wir diese Entscheidung formal bekräftigen, und die Zeremonie erfüllt genau diesen Zweck. Sie lässt unsere Entscheidung Wirklichkeit werden und gibt eine bestimmte Kraft und Energie, die uns sonst fehlen würde. Aufrichtige Buddhisten im Geist zu sein, ist gut, aber es ist natürlich nötig, dass wir diese Aufrichtigkeit in unserem Verhalten und Handeln verwirklichen und nicht nur im Geist. Buddhismus ist nicht nur eine Theorie, sondern etwas Wirkliches, etwas Aktives. Wenn wir daher den Buddha-Dharma studieren wollen, müssen wir etwas tun, denn Theorie allein reicht nicht. Zazen zu praktizieren ist genau dieses Tun. Die Gelöbnisse zu empfangen, ist ebenfalls ein solches Tun. Durch diese Handlungen können wir die buddhistische Wahrheit erkennen und verwirklichen. Durch solches Handeln können wir wirkliche Buddhisten werden. Wenn wir die Gelöbnisse empfangen, können wir ein Leben des klaren Handelns, ein buddhistisches Leben, beginnen.

Ich verstehe, dass der Buddhismus eine praktische Einstellung zur Moral und zu den Gelöbnissen hat, aber wenn wir unsere Fähigkeit, die Gelöbnisse einzuhalten, bezweifeln, was sollen wir dann tun? Sollen wir den Buddhismus dann so lange beiseite lassen, bis wir mehr Vertrauen zu uns selbst haben?

Wenn wir den aufrichtigen Willen und die Motivation haben, die Gelöbnisse einzuhalten, ist es überflüssig, die Frage nach unserer Fähigkeit zu stellen, ob wir dies tun können. Die Gelöbnisse immer im Bewusstsein zu haben ist sehr wichtig, aber sie manchmal nicht einzuhalten, ist keine ewige Sünde. Es ist nur die Folge bestimmter konkreter Situationen in unserem Leben. In unserem langen Leben werden wir vielen solchen Situationen begegnen. Als Buddhisten erkennen wir diese Tatsache ruhig an und gleichzeitig bestätigen wir unsere Absicht, die Gelöbnisse während unseres gesamten Lebens einzuhalten. Dies ist unser Weg. Wir empfangen die Gelöbnisse und bestätigen sie und kennen ihren Wert und ihren Sinn in unserem Leben. Wir schätzen die Gelöbnisse, aber wir haben deswegen keine Ängste. Dies ist die Lehre von Meister Dogen, dies ist unser Weg. Die Gelöbnisse sind kein Selbstzweck, sondern sie sollen uns beim Handeln und Entscheiden in unserem Leben helfen.

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