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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Montag, 8. Januar 2007

Philosophische Grundlagen

Da ich mein Leben lang an der Zusammenführung westlichen Denkens mit dem Buddhismus gearbeitet habe, möchte ich nun die philosophischen Grundlagen des Westens nach meinem Verständnis eines sehr interessierten Japaners kurz darlegen. Dies soll dann die Grundlage für die Brücke zum Buddhismus bilden. Die westlichen Philosophen werden hoffentlich Nachsicht mit mir haben, dass ich nicht die vielen Einzelheiten dieses Denkens ausbreiten kann und will. Es würde dann sicher auch viel zu kompliziert werden und für die meisten nicht mehr verständlich sein.

1. Wertschätzung des Idealismus und Materialismus
Obgleich der Buddhismus den einseitigen Idealismus und Materialismus kritisiert, sollten wir deren Wert aber insgesamt nicht gering schätzen. Beide Weltanschauungen und Philosophien haben die menschliche Kultur und Zivilisation ganz gewaltig vorangebracht und sind in vielen wichtigen Lebensbereichen in tausenden von Jahren entwickelt worden, so dass wir den historischen Wert von Idealismus und Materialismus als bedeutend ansehen müssen. Die Geschichte des Idealismus reicht vermutlich weit zurück bis zum Ursprung der Menschheit überhaupt, besonders wichtig ist jedoch der Bezug zum antiken Griechenland. Der bekannte griechische Philosoph Plato (427 bis 346 v. C. ) bestand darauf, dass sich alle Dinge und Phänomene dieser Welt von der Vernunft und den Ideen ableiten und dass auch die externe Welt, die wir wahrnehmen, nur Abbilder dieser Ideen sind. Um diese “Tatsachen“ nachzuweisen, benutzte er u. a. die universellen mathematischen Prinzipien in der Welt. Er bestand darauf, dass alle Dinge und Phänomene vernünftig sind und dass wir daher alles auf der Grundlage einer Theorie der Vernunft verstehen können. Ich denke, dass diese hohe Wertschätzung der Vernunft in Europa außerordentlich wichtig für die Entwicklung der gesamten westlichen Kultur war.
Der Idealismus verband sich dann mit dem Christentum, als es allgemein vom römischen Reich übernommen wurde und es wird gesagt, dass der bekannte Kirchenvater Augustinus auf dem philosophischen System von Plato aufbaute. Der berühmte mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin benutzte als Grundlage wiederum das philosophische System von Aristoteles, der Schüler von Plato war. In der späteren Zeit haben die Philosophen Decartes, Spinoza, Leibniz und andere ebenfalls eine starke Tendenz zum idealistischen Denken. Dann gab es in Deutschland eine kraftvolle philosophische Richtung von Kant, Fichte, Schelling, Hegel u. a.. Dies nennen wir den deutschen Idealismus, denn diese Philosophen haben das idealistische Denken und Weltbild in aller Klarheit und umfassend ausgearbeitet. Vor allem Hegel bestand darauf, dass alle Dinge und Phänomene dieser Welt Offenbarungen des Weltgeistes sind. Aber wie gesagt folge ich ihrer nach meiner Ansicht einseitigen Philosophie nicht.

2. Materialismus
Im 12. und 13. Jahrhundert bahnte sich jedoch ein großer Wandel in Europa an und daraus entwickelte sich die Renaissance. Vor dieser Zeit hatte die katholische Kirche z.B. festgelegt, dass die Erde eine feststehende Scheibe sei und dass die Sonne sowie die anderen Himmelskörper sich darüber bewegen. Einige Astronomen, u. a. Kopernikus, untersuchten jedoch Zeit und Ort des Sonnenlaufes genauer und entdeckten die wirkliche Bewegung und den Lauf der Sonne. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass ihre Messungen nicht mit der früheren Annahme übereinstimmen konnten, dass die Erde eine feststehende Scheibe sei und dass die Sonne sich bewegte. Sie stellten daher die Theorie auf, dass die Erde sich um die Sonne bewegt und dass diese selbst feststand. Durch diese Annahme konnten sie eine große Übereinstimmung der Bewegung von Erde und Sonne mit ihren Messdaten erreichen. Die Astronomen schlossen also daraus, dass sich die Erde bewegt und immer um die Sonne kreist.
Ihre Behauptungen standen nun im krassen Gegensatz zu den Dogmen der damaligen katholischen Kirche und diese forderte daher von ihnen, dass sie ihrer abweichenden Theorie abschworen. Die katholische Kirche verfolgte sogar die damaligen Astronomen und einige von ihnen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Aber die wissenschaftlichen Tatsachen blieben natürlich Tatsachen und konnten auf die Dauer nicht unterdrückt werden.
Aufgrund dieser nicht zu unterdrückenden Fakten begannen die Menschen langsam ihr Denken zu verändern. Sie fingen an Fragen zu stellen und an den alten dogmatischen Aussagen zu zweifeln, die ohne oder sogar gegen die Vernunft behauptet wurden. Sie wollten die Dinge, Phänomene und Zusammenhänge dieser Welt auf der Grundlage ihrer eigenen Wahrnehmung und Überlegung verstehen. Damit hatte das Zeitalter der wissenschaftlichen Forschung begonnen. Später hat sich die Forschung und Wissenschaft außerordentlich stark entwickelt, und die verschiedensten Industrien wurden aufgebaut, sodass kapitalistische Gesellschaften entstanden. In der Folge entwickelten sich auch viele bedeutende historische Tatsachen, z.B. die Reformation, die Unabhängigkeit und Demokratie der USA, die französische Revolution, die industrielle Revolution und der erste Weltkrieg. Die Menschheit glaubte allgemein an die Kraft ökonomischer Werte, an Macht und Gewalt, große Industrien, gewaltige Vermögen und die materialistische Philosophie verdrängte weitgehend die idealistischen Weltanschauungen, die bis dahin vorgeherrscht hatten. Ohne diese Entwicklung wäre es für die Menschheit unmöglich gewesen, sich zu einer Gesellschaft von so großem ökonomischem Reichtum und zur Demokratie zu entwickeln. Ich glaube daher, dass auch die materialistische Philosophie von großem Wert für die menschliche Entwicklung war. Aber sie ist sicher zu einseitig.

3. Philosophie des Handelns und Existenzialismus
Ich nehme an, dass der Begriff "Philosophie des Handelns" vielen recht eigenartig erscheint. Diesen Begriff finden wir nämlich normalerweise in keinem Buch, keinem Artikel usw. und das liegt daran, dass diese Formulierung von mir selbst geprägt wurde.
Bei meinen Studien des Buddhismus, die ich seit mehr als sechzig Jahre durchführe, wurde mir immer klarer, dass dieser eine ganz besondere Lehre und auch eine umfassende Philosophie ist. Im Buddhismus ist nämlich das Handeln nicht nur eine idealistische Vorstellung oder eine materialistische äußere Sinneswahrnehmung, sondern darüber hinaus eine sehr reale Tatsache genau im gegenwärtigen Augenblick und dieses wirkliche Handeln in der Gegenwart ist die fundamentale Grundlage der buddhistischen Lehre.
Eine solche Vorstellung des "wirklichen Handelns" kann jedoch nicht nur im Buddhismus, sondern in neuerer Zeit auch in bestimmten westlichen Philosophien entdeckt werden.
Ich denke, dass z.B. der dänische Philosoph Kierkegaard von einem solchen Ansatz ausging. Er war ein sehr aufrechter Christ, aber bei der Betrachtung der vorhandenen starken Tendenzen zu materialistischen und politischen Ideen beschlich ihn die große Furcht, ob das Christentum dabei überhaupt weiter bestehen könne oder nicht. Daher versuchte er mit großer Kraftanstrengung, eine neue Philosophie zu entwickeln, die vor allem den Sinn hatte, das Christentum für ihn und andere zu retten. So entwickelte er eine Lehre, die auf der menschlichen Existenz im gegenwärtigen Augenblick aufbaute. Daher gehört seine Philosophie auch nicht zu idealistischem oder materialistischem Gedankengut.
Der deutsche Philosoph Nietzsche folgte dann Kierkegaards Richtung. Nietzsche hatte großes Interesse an der antiken griechischen Kultur und bewunderte deren Größe und geistigen Reichtum. Er schätzte die menschliche Freiheit und den menschlichen Willen außerordentlich und wollte sowohl den dualistischen Idealismus als auch den dualistischen Materialismus durch das wirkliche Handeln überwinden. Ich denke daher, dass Nietzsche als Philosoph in seinem Denken ebenfalls den Idealismus und Materialismus überwinden wollte und das Handeln als Grundlage seines Denkens nahm.
Die deutschen Philosophen Jaspers und Heidegger gingen in Richtung dieser Philosophie noch weiter voran, und machten die menschliche Existenz und den gegenwärtigen Augenblick zur Grundlage ihres Denkens, so dass sie das menschliche Sein auf dieser Basis des Handelns erheblich wirklichkeitsnäher erklären konnten. Heidegger schrieb z.B. das bedeutende Werk mit dem Titel "Sein und Zeit", das der wirklichen Zeit im gegenwärtigen Augenblick sehr nahe kommt.

4. Philosophie des Handelns und des Lebens
Der deutsche Philosoph Dilthey kritisierte, dass der Idealismus sich einseitig zu intellektuellem Denken entwickelt hatte und dass es ihm an Substanz mangelt, weil er mit dem wirklichen Leben immer weniger zu tun hatte. Er stellte die Forderung auf, dass es für die Philosophie notwendig ist, den wirklichen Tatsachen zu folgen, die auf dem Leben selbst beruhen. Er bemühte sich mit großer Kraft, die Spaltung der Philosophie in Idealismus und Materialismus zu überwinden. Er benutzte eine Methode der Intuition, um die kraftvollen wesentlichen Tatsachen des täglichen Lebens zu ergreifen. Ich denke, dass ein derartiges auf die Wirklichkeit bezogenes Streben ebenfalls zu den neuen Hauptströmungen der Philosophie gehört, die die wirklichen Tatsachen des menschlichen Lebens direkt mit intuitiven Methoden begreifen wollen. Es wird allgemein angenommen, dass Nietzsche, Bergson, Dilthey und Simmel ebenfalls dieser Strömung der Philosophie nahe stehen.

5. Philosophie des Handelns und Phänomenologie
Der deutsche Philosoph Edmund Husserl hatte ebenfalls erkannt, dass die idealistische und materialistische Philosophie zu stark dem intellektuellen Denken angehören, und er wollte sich davon unabhängig machen, um sich den wirklichen Phänomenen zuzuwenden. Als Phänomen bezeichnete er den Verbindungspunkt oder die Schnittstelle zwischen der subjektiven Person und den objektiven Gegebenheiten. In diesem Sinne untersuchte Husserl sehr sorgfältig verschiedenartige Phänomene. Nach meiner Einschätzung handelt es sich hierbei um ein Beispiel der realistischen Philosophie des Handelns, in dem Husserl die subjektive Person und die objektiven Gegebenheiten durch eine reale Einheit, die er Phänomen nannte, zusammenbrachte. Seine Leitlinie war: Zu den Phänomenen selbst!

6. Philosophie des Handelns und Pragmatismus
In den USA entwickelte sich daneben eine Philosophie, die Pragmatismus genannt wird. Zum Beispiel kritisierte der führende Philosoph des Pragmatismus Dewey, dass die bisherigen Philosophien sich mit sehr abstrakten Problemen beschäftigen und diese intensiv diskutieren, während sie dem täglichen Leben aber wenig Aufmerksamkeit schenken. Er untersuchte daher im Einzelnen die verschiedenen Dinge und Phänomene des allgemeinen täglichen Lebens. Er erkannte, dass das Wichtigste unseres täglichen Lebens das Handeln ist, das im gegenwärtigen Augenblick stattfindet. Er arbeitete weiter heraus, dass unser Handeln den Anforderungen des gegenwärtigen Augenblicks tatsächlich entsprechen und mit den Umständen übereinstimmen muss. Nach meiner Einschätzung ist der Pragmatismus in den USA eine wichtige philosophische Richtung des Handelns des 20. Jahrhunderts.

7. Buddhismus und die Lehre der Wirklichkeit (Realismus)
Wie ich bereits beschrieben habe, ist die menschliche Kultur und Zivilisation m. E. seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in das Zeitalter des Realismus eingetreten. Ich bin der festen Ansicht, dass bereits im alten Indien des 5. Jahrhunderts vor Christus tatsächlich ein philosophisches System der Wirklichkeit und des Realismus entwickelt worden ist und zwar von dem hervorragenden Genie und Lehrer Gautama Buddha. Zu jener Zeit wurde das Denken in Indien noch nicht schriftlich niedergelegt, so dass die damaligen Mönche die Lehrreden von Gautama Buddha auswendig lernten und diese später in Form der buddhistischen Sutras aufgeschrieben wurden. So wurden das buddhistische Denken und die Lehren von Gautama Buddha in die folgenden Zeiten weiter übermittelt. Dadurch sind die Lehren Gautama Buddhas bis in die heutige Zeit recht zuverlässig erhalten geblieben, sie wurden also in einer langen historischen Tradition authentisch übermittelt.
Dabei sind allerdings Unterschiede bei der Interpretation der buddhistischen Lehre entstanden, und es haben sich einige, zum Teil recht komplizierte Lehren und Philosophien entwickelt, so dass wir heute in der Tat von einer vielfältigen und zum Teil auch verwirrenden buddhistischen Philosophie sprechen können. Ich denke, dass es jedoch in der langen Geschichte des Buddhismus von 2500 Jahren mindestens zwei ganz hervorragende klare buddhistische Denker gegeben hat, nämlich den indischen buddhistischen Mönch Meister Nagarjuna und den japanischen Mönch Meister Dogen, auf die wir setzten können. Ich selbst bin von den Werken und Schriften Meister Dogens seit meinem 17. Lebensjahr außerordentlich fasziniert und habe seit über 60 Jahren fortlaufend diese Werke studiert, habe Vorträge gehalten und Seminare gegeben und Zazen praktiziert. Dabei ist mir klar geworden, dass der japanische buddhistische Mönch Meister Dogen die Lehre Gautama Buddhas als Lehre der Wirklichkeit, also als Realismus verstanden hat. Ob Gautama Buddha selbst seine Lehre als eine realistische Interpretation der Welt bezeichnet hat oder nicht, war mir zunächst allerdings nicht so klar. Vor 23 Jahren bekam ich dann jedoch die Gelegenheit, das Werk Mulamadhyamaka-karika (in Zukunft als MMK abgekürzt) in Sanskrit von Meister Nagarjuna zu studieren. Damals war es außerordentlich schwierig für mich, MMK zu analysieren und zunächst gelang es mir überhaupt nicht, den Inhalt zu verstehen, obgleich ich MMK wohl einhundert Mal gelesen habe. Da ich nach wie vor ein brennendes Interesse an der Lehre des MMK hatte, gab ich nicht auf und verstand dann Schritt für Schritt deren Bedeutung. Der wesentliche Grund, warum ich diese Lehre nicht verstehen konnte, lag darin, dass MMK auf der Grundlage des Realismus verfasst war, aber ich dieses bedeutsame Prinzip noch nicht erkannt hatte. Mir wurde dabei immer klarer, dass es sehr wichtig für uns ist zu erkennen, dass der Buddhismus eine Lehre ist, die vollständig auf der realen Wirklichkeit beruht. Dann können wir den Buddhismus wirklich verstehen und lernen, unser Leben mit Freude, Moral und Tatkraft zu führen.

1 Kommentar:

element hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Seggelke,

vielen Dank für ihre Übersetzungs-
arbeit. Vieles, was ich vorher auf Englisch gelesen habe wird nun deutlicher.

Vieleicht wäre es auch gut einen Link vom englischen Blog auf diese Seite hin einzurichten.