Über mich

Mein Bild
Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Donnerstag, 25. Juli 2013

Untersuchung der Zeitpunkte des Beginns und des Endes (Purvaparakoti pariksha) Nagarjuna, MMK, Kapitel 11



 Die Geburt ist der Anfang und der Tod das Ende des Lebens. Normalerweise feiern wir die Geburt und trauern beim Tod eines Menschen. Nach dem Mittleren Weg des Buddhismus ist es nicht sinnvoll, weder überschwänglich optimistisch noch total pessimistisch zu sein. Es ist nicht sinnvoll, sich in übergroße Emotionalität des Glücks und der Trauer zu verlieren. Beide Extreme treten vor allem auf, wenn bei einem Menschen der Idealismus oder der Materialismus bei weitem überwiegt.

In diesem Kapitel wird Beginn und Ende, also Geburt und Tod, aus buddhistischer Sicht untersucht. Dabei ist zu beachten, dass nach der Lehre der Wiedergeburten vor allem in der vorbuddhistischen Zeit ein konstanter Seelenkern gezwungen ist, von einem Leben in das Nächste weiter zu gehen, um schlechtes Karma abzuarbeiten. Dies ist mit dem Atman – Glauben verbunden, den Gautama Buddha in der herkömmlichen Form ablehnte, weil er dem Überwinden des Leiden schadete.

Vers 1
Nagarjuna zitiert Gautama Buddha, der vor seinem Tode klar sagte, dass das jetzige Leben mit all seinen Höhen und Tiefen ganz ausgezeichnet sei. Es habe den höchsten Wert. Wir werden also nicht durch unser Leben geknechtet und gefesselt, so als ob wir einen Ring durch die Nase hätten, wie die Zugtiere im alten Indien.

Unser ist also ein Grund zur größten Freude Leben, auch wenn es Höhen und Tiefen hat. Buddhas Lehre unterscheidet sich damit fundamental von den Glaubensreligionen, die das jetzige Leben als Jammertal einschätzen und ein paradiesisches jenseitiges Leben voraussagen.

Vers 2
Idealisten neigen zu Übertreibungen, zum Besten und zum Schlechtesten, sie leben nicht im Gleichgewicht. Materialisten kalkulieren meist zu ihrem eigenen egoistischen Vorteil und bewerten Situationen so, dass sie für sich selbst das Beste herausholen. Diese beiden Lebensformen unterscheiden sich grundsätzlich von dem Mittleren Weg im Buddhismus, den Gautama Buddha schon vor 2500 Jahren als den einzig richtigen gelehrt hatte.

Ähnliches gilt für die Weltanschauung von der Zeit. Bei dem Ansatz der linearen Zeit vergleichen wir einen früheren mit einem späteren Zustand; dies ist ein gedanklicher Vorgang des Vergleichens und Bewertens. Die existentielle Sein–Zeit gibt es aber nur im gegenwärtigen Augenblick. Prozesse in der linearen Zeit sind nicht die Sein – Zeit des Augenblicks. Sie mögen für organisatorische und technische Aufgaben manchmal angemessen sein, aber sie können die Wirklichkeit der Sein–Zeit im Augenblick nicht realisieren.

Vers 3
Bevor sich die Geburt ereignet hat, gehören Altern und Tod zur Zukunft und sind damit keine Wirklichkeit. Nach der Geburt besteht jederzeit die Möglichkeit des Todes, und auch Altern ist ganz natürlich.

Geburt und Tod können auch symbolisch verstanden werden: Die Geburt einer Idee ist deren Beginn und das Ende ist deren Tod, oft die Klarheit einer Täuschung als Idee aufgesessen zu sein.

Handeln hat immer Auswirkungen, die in der Wirklichkeit der Welt bestehen bleiben. Sie sind also weiter in allen folgenden Augenblicken wirksam. Insofern kann man auch davon sprechen, dass die Wirkungen unserer Taten „ewig“ sind.

Vers 4
In der Welt kann nichts gegen das Gesetz von Ursache und Wirkung existieren und es gibt nichts ohne Vernunft und gegen rationale Ursachen.

Es ist für den denkenden Geist unmöglich, Altern und Tod präzis und genau voraus zu denken, sondern dabei ist immer ein hohes Maß an wirklichkeitsfremden Spekulation relevant, die oft zusätzlich von starken Emotionen, z. B. Angst, gesteuert werden.

Vers 5
In der Existenz-Zeit (Sein-Zeit) des Augenblicks ist die Geburt nicht mit dem Altern und Tod verbunden. Denn eine solche Verbindung wird nur vom denkenden Geist hergestellt. Sie sind eigenständige gegenwärtige Augenblicke der Sein–Zeit.

Die Sehnsucht nach dem Tod entspringt häufig dem Umstand der Verantwortung des Lebens zu entfliehen. Eine solche Flucht ist mit der Vernunft nicht vereinbar.

Die Geburt wird von den Menschen oft magisch interpretiert, und auch dies ist gegen das Gesetz von Ursache und Wirkung, also gegen die Vernunft. Allerdings ist es richtig, dass niemals alle Faktoren und Ursachen der Geburt mit dem denkenden Verstand erfasst werden könne.

Vers 6
Es ist unmöglich, mit dem denkenden Verstand absolute Klarheit für das Altern und die Geburt in Bezug auf den Augenblick der Gegenwart zu erlangen. Es gibt zudem keinen zeitlichen Prozess im gegenwärtigen Augenblick, der nur ein Punkt der gedachten linearen Zeit ist, aber das wahre Sein verwirklicht.

Altern und Geburt gibt es in sehr verschiedenen Arten und Formen, die wirkliche jeweilige Situation kann dabei nicht vollständig durchschaut werden.

Vers 7
Die reale Praxis und die Methode des wahren Handelns sind eine Einheit. Genauso sind die äußere Form und Charakteristika der Dinge und Phänomene eine unteilbare Einheit.

Die Sinneswahrnehmung in der wirklichen Welt und die Reizungen der Sinnesorgane sind ebenfalls eine Einheit. Dies gilt insbesonder für das, was wir wahrnehmen.

Auf dem Mittleren Weg ist dies alles eine einfache Tatsache der wirklichen Welt, die direkt und unbestreitbar vor uns existiert.

Vers 8
Der Wert unseres Lebens hängt wesentlich davon ab, dass wir das Ende einbeziehen. Unser Dasein ist kurzlebig und das macht es so überaus wertvoll.

Aber unabhängig davon, ob wir den Wert des Lebens und der Welt erkennen, sind die verschiedenen Dinge und Phänomene wirklich vorhanden, in ihrer Würde und Schönheit. D.h. ihr Wert ist unabhängig davon, ob wir ihn erkennen.

Es ist sicher richtig, dass wir es bisher häufig versäumt haben, den Wert der Schönheit des Lebens wirklich zu erkennen.


Keine Kommentare: