Vers 21
Die Welt in der wir leben, kann als
konkrete umfassende Einheit erfasst und erlebt werden, sie ist zudem in viele
individuelle Dinge und Phänomene unterteilt. Nagarjuna verwendet hierfür die
vielleicht eigenartige Formulierung, dass die umfassende Einheit sich ausdehnt
und dass dadurch die vielfältigen Dinge und Phänomene existieren.
Wer sich nur mit der Einheit der Welt
beschäftigt, ist in Gefahr die Einzelheiten des konkreten Lebens zu übersehen
und schwere Fehler zu machen. Wir müssen unbedingt beide Aspekte der
Wirklichkeit verinnerlichen.
Vers 22
Bevor die konkrete Bewegung des Gehens
Wirklichkeit ist, gibt es kein wirkliches Gehen, z.B. gibt es kein konkretes
Gehen allein aus der Vorstellung oder Idee des Gehens. Die ´Ur-Idee´ des Gehens
macht also keinen Sinn, sie ist nur Spekulation.
Es wäre daher unsinnig sich vorzustellen,
dass eine derartige ´Ur-Idee´ des Gehens in einem großen ´Ur-Behälter der Welt´
vorhanden ist.
Vers 23
Ein Mensch, der geht, und die Tatsache des
Gehens können nicht von einander getrennt werden. Beide können sich also nicht
in dieser Welt getrennt manifestieren. Es gibt nur eine einzige Tatsache des
Vorangehens.
Häufig sehen wir nicht den radikalen
Unterschied zwischen der Idee des Gehens und dem wirklichen Gehen. Alle Dinge
und Phänomene des Gehens sind direkt mit der konkreten Bewegung verbunden. Es
gibt daneben keine dritte Einflussgröße, die beim wirkliche Gehen vorhanden
ist. Alles basiert nach Nagarjuna daher auf dem Handeln im Augenblick, dass
fundamentaler ist als der Mensch, den wir uns auch nicht als Gefäß für das
Handeln vorstellen dürfen.
Vers 24
Nagarjuna betont in diesem Vers, dass wir
uns davor hüten müssen, drei getrennte Bereiche anzunehmen: die wirkliche Welt,
das Gehen als wirkliches Handeln und ein Mensch der geht. Ein solcher Irrtum
kann z.B. dadurch entstehen, dass wir einen Menschen beobachten, dass wir
sehen, wie er geht, und dass wir eine Idee von der Einheit der Welt haben. Das
sind nur gedankliche Trennungen aber nicht die Wirklichkeit selbst. Denn auch
die Idee einer realen Welt oder die Idee des realen Gehens ist noch lange nicht
die Praxis des wirklichen Gehens im Augenblick. Und derartige Ideen und
Vorstellungen können nicht in der Realität gehen.
Eine nicht reale Welt, die wir uns z.B.
ausdenken oder die uns gelehrt wird, ist etwas fundamental Anderes als
wirkliches Handeln.
Vers 25
Auch die nicht reale Welt gibt es in
unserer Vorstellung und unserem Denken. Wie wir tagtäglich beobachten können,
beeinflussen solche Fiktionen und Ideen unser Handeln erheblich. Insofern
existieren derartige Ideen sozusagen als Scheinrealitäten in unserem Gehirn. Solche
Ideen haben selbstverständlich auch eine Ursache und erscheinen nicht von
allein aus dem Nichts.
Alles in dieser Welt entsteht und vergeht
im Augenblick. Die Ideen über Bewegung, angebliche (aber gedachte) Tatsachen
und die (wahrgenommene) wirkliche Welt sind immer auch Interpretationen und
sehr häufig Bewertungen. Sie sind dann nicht mit den einfachen Tatsachen dieser
Welt identisch, sondern durch Denken, Interpretationen usw. verändert und
verzerrt.
Auch die Vorstellung, etwas erreicht zu
haben, ist eine Interpretation des Menschen.
Um
diese Zusammenhänge klar zu erkennen, bedarf es eines erweiterten und
umfassenderen Bewusstseins. Isoliertes und vor allem bewertendes Erkennen des
Intellekts reichen nicht aus.