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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Sonntag, 14. Juli 2013

Untersuchung der Einheit von Feuer und Verbrennung (Agnindhana pariksha) Nagarjuna, MMK, Kapitel Kapitel 10


Das Beispiel des Feuers hat im alten Indien eine sehr große Bedeutung gehabt: als Realität, spiritueller Inhalt und in seiner Funktion für die Menschen. Feuer ist neben anderem ein physikalisches Element und wird dann rein materiell verstanden. Was wir in der modernen Naturwissenschaft und Technik als Element bezeichnen, ist von den altindischen Elementen zum Teil recht verschieden. Heute basieren Elemente immer auf Atomen, Molekülen oder deren Elementarteilchen. Die Flamme oder das Feuer würden wir daher nicht als materielles Element bezeichnen.

Das Feuer hat für das praktische Leben der Menschen seit seiner Kultivierung eine sehr große Bedeutung,  z.B. für die Zubereitung des Essens, beim Kochen und Braten. Dadurch konnte die Ernährung der Menschen schon in archaischen Zeiten wesentlich verbessert werden. In kalten Regionen wurde das Feuer darüber hinaus zum Heizen verwendet.

In der frühindischen Religion spielt der Feuergott eine große Rolle und die Feuerzeremonien, die von den Brahmanen ausgeführt wurden, hatten zentrale Bedeutung für das religiöse Leben und den Glauben.

Damit sind drei wesentliche Bedeutungsfelder des Feuers angesprochen: Eine konkret materielle als Element, eine in der Funktion für den Menschen und eine dritte nicht minder wichtige als Abstraktion, Vorstellung und Glaube, einschließlich den darauf aufbauenden Feuerzeremonien.

Nagarjuna behandelt in diesem Kapitel zum einen die abstrakte Idee und Vorstellung des Feuers und zum anderen das konkret Materielle beim Verbrennungsprozess, den wir heute physikalisch und chemisch sehr genau kennen. Das im Titel dieses Kapitels verwendete Sanskritwort indhana hat die konkret materielle Bedeutung von Brennstoff, Holz und Gras usw., die für das Feuer verwendet wurden.

Das Feuer wird in der buddhistischen Lehre und Praxis häufig behandelt und ist Teil in verschiedener Zeremonien. Es hat z.B. in den hochgelegenen Klöstern in China und Japan, in denen es im Winter bitterkalt war, die ganz besondere Bedeutung, weil sich die Menschen so wärmen konnten. Aus China sind daher auch zahlreiche Kôan-Gespräche großer Meister zum Thema des Feuers überliefert.

Häufig wird am Beispiel vom Feuerholz, dem Verbrennungsprozess und der übrig bleibenden Asche die Frage untersucht, wie das Verhältnis des Ergebnisses, also der Asche, zum Feuerholz und zum Feuer zu verstehen ist. Dabei wird insbesondere durchleuchtet, wie ein Ergebnis durch die intellektuelle Tätigkeit des Geistes mit dem vorherigen Zustand und Material in Verbindung steht. Wenn nach der Verbrennung das Feuerholz restlos verschwunden ist, und zu einem späteren Zeitpunkt die Asche da ist, neigen wir wie selbstverständlich dazu, die Asche als das Ergebnis der Verbrennung des Brennstoffes zu sehen. Dieser Zusammenhang bedarf jedoch einer genaueren Analyse, nicht zuletzt in Bezug auf die Frage, welche Realitäten jeweils im Augenblick existieren und welche Zusammenhänge nur mental durch unser Gehirn hergestellt werden.

Besonders interessant und aufschlussreich ist eine derartige Untersuchung, wenn wir das Handeln im Augenblick als einzige Wirklichkeit erkennen. Derartige Untersuchungen sind in der westlichen Philosophie leider kaum vorhanden und wenig ausgearbeitet. Die westliche Philosophie bleibt meistens dem Ideellen des Geistes oder dem Materiellen der physikalisch-chemischen Dimension verhaftet.

Vers 1
Die abstrakte Idee des Feuers, z.B. als Vorstellung in unserem Gehirn, und die materielle Verbrennung können wir unterscheiden. Die Wirklichkeit der konkreten Flamme geht aber darüber hinaus, so wie das konkrete Handeln über die Abstraktion des menschlichen Verhaltens hinausgeht.

Es ist selbstverständlich, dass es keine Flamme ohne den physikalisch-chemischen Vorgang der Verbrennung geben kann. Eine Trennung von beidem wäre daher absurd.

Vers 2
Die abstrakte Idee des ewigen Lichtes und der ewigen Flamme ist etwas anderes als die konkrete Flamme direkt vor uns im Hier und Jetzt.

Die Idee des ewigen Lichtes kann leicht missbraucht werden, sie ist dann völlig wertlos und hat keine Bedeutung für unser Leben. Wer eine Flamme, z.B. einer Kerze oder einer Öllampe, genau und offen beobachtet, wird feststellen, dass die Flamme ein wirkliches Wunder ist.

Vers 3
Durch die Idee des ewigen Lichtes dürfen wir die Bedeutung und konkrete Beobachtung der Wirklichkeit nicht verlieren. Wer einseitig an das ewige Licht glaubt, nur als abstrakte Idee, kann leicht in Ablehnung und Nihilismus der realen Welt verfallen, diese Welt ist aber direkt um uns.

Dann wäre die Idee des ewigen Lichtes nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich für unser Leben im Hier und Jetzt.

Es ist daher unsinnig, die abstrakte Idee und Vorstellung der Verbrennung oder anderer Arten von Abstraktionen von der wirklichen Flamme zu trennen.

Eine übergroße Sehnsucht nach dem ewigen Licht führt zum Anhangen und zur Abhängigkeit von solchen idealisierten Vorstellungen.

Vers 4
Nagarjuna betont in diesem Vers, dass wir sehr genau analysieren sollen, ob ein angestrebtes Ziel auch wirklich erreicht worden ist oder ob wir uns dabei etwas vormachen. Bei der Frage ob ein Ziel erreicht worden ist, dass wir gern erreichen würden, ist daher unbedingt Sachlichkeit erforderlich, um nicht Illusionen mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Außerdem kann die Zukunft nie im Einzelnen ganz genau vorhergesehen werden, sodass auch den Zielen immer diese Unsicherheit der Zukunft anhaftet. Die Zukunft kann niemals so genau sein wie die Realität im gegenwärtigen Augenblick.

Es gibt Dinge und Phänomene in dieser Welt, die nicht zerstört werden können und dies gilt auch für die Zukunft. Manche Sorgen und Ängste über die Zukunft sind daher von den Tatsachen her unbegründet.

Nagarjuna vergleicht die wirkliche langfristige Bedeutung der Begriffe Feuer, Verbrennung und Flamme mit dem Geschlecht der Worte in der Sprache: Begriffe wie maskulin, feminin oder Neutrum werden auch in Zukunft gleiche oder ähnlich Bedeutung haben.

Vers 6
Nagarjuna kommt noch einmal auf das Geschlecht der Wörter zu sprechen. Im Sanskrit ist Verbrennung weiblich und Feuer männlich. Eine gedankliche Trennung oder Veränderung des Geschlechts der Worte ist nicht sinnvoll.

Die materielle Dimension der Verbrennung, die wir naturwissenschaftlich recht genau beschreiben können, verliert wesentlich an Bedeutung, wenn wir sie von dem Feuer als abstrakte Vorstellung und deren Bedeutung trennen. Das heißt, dass die nur materielle Dimension der Dinge und Phänomene dieser Welt ohne deren Sinn und die Idee unser Leben verarmen und austrocknen. Diese Aussage Nagarjunas ist in der Gegenwart des Materialismus und der jetzigen spirituellen Verarmung besonders wichtig.

Am Beispiel der Worte und deren Geschlechts können wir zudem aufzeigen, dass das Weibliche auch das Männliche enthält und umgekehrt.

Vers 7
Wenn wir in der konkreten Wirklichkeit gedanklich das Feuer von der Verbrennung trennen, so ist es auch umgekehrt möglich, die Verbrennung von dem Feuer zu trennen. Das ist zwar beim Denken möglich, aber in der Wirklichkeit natürlich nicht. Daher ist es so wichtig, dass wir unsere Ideen und Gedanken mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bringen.

Die Einheit von Feuer und Verbrennung ist vollkommen. Dies kann man gleichnishaft auch so ausdrücken, dass sich Feuer und Verbrennung nicht als etwas jeweils anderes bemerken können.

Vers 8
Die Fähigkeit konkret die Flamme als Ganzes zu erkennen, ist die Grundlage für materielle Theorien der Verbrennung als Prozess und für die abstrakten Ideen über das Feuer. Daher ist die Verbrennung als Teildimension gegenüber der ganzheitlichen Erfahrung der Flamme eher neben geordnet. Ähnliches gilt für abstrakte Ideen über das Feuer.

Wenn wir jedoch unser eigenes Verhalten und Denken einer genauen Überprüfung unterziehen, können wir sicher feststellen, dass wir dazu neigen, umgekehrt vorzugehen: aufgrund unserer abstrakten Ideen beobachten wir die Wirklichkeit und verengen und verzerren sie dadurch. Auch die nur materiell naturwissenschaftliche Sicht ergibt eine solche Verengung, da die spirituelle Dimension fehlt.

Aber selbst realitätsnahe Überlegungen und Ideen sind nicht die Wirklichkeit selbst. Die Wirklichkeit ergibt sich durch unmittelbare Erfahrung frei von verzerrenden Vorstellungen und Überlegungen.

Vers 9
Die materielle Dimension der Verbrennung und die abstrakte Dimension des Feuers erkennen wir, indem wir die Flamme genau und direkt beobachten. Wegen der wirklichen Erfahrung der Flamme können wir sinnvoll abstrakt über Feuer reden.

In Bezug auf die Verbrennung können wir uns sogar materiell vorstellen, dass es Zustände ohne Verbrennung gibt. Was will Nagarjuna damit sagen?

Wir sollten uns nicht in Ideen und Überlegungen verlieren und sie als reale Wirklichkeit verstehen. Je konkreter wir beobachten, ohne uns dabei auf die materielle Dimension zu reduzieren, desto näher kommen wir der Wirklichkeit. Dies gilt für das Beispiel der Flamme, und auch allgemein für unser Leben.

Vers 10
Dieser Vers betont den Unterschied der wirklichen Existenz von den Worten und Vorstellungen des Begriffes „Existenz“. Derartige Ideen und Vorstellungen sind aber nicht real und nicht die Wirklichkeit. Sie benennen zwar die Wirklichkeit, sind aber nicht mit ihr identisch.

Nachdem Nagarjuna keinen Zweifel daran gelassen hat, dass es die Wirklichkeit in unserem Leben, in der Welt und im Universum gibt, stellt er nun die Frage, ob es möglich ist, diese Wirklichkeit vollkommen zu erkennen. Die Antwort lautet, dass die Wirklichkeit unfassbar ist. In einer modernen Formulierung heißt dies, dass die Komplexität der Wirklichkeit unendlich ist und daher nicht vollständig erkannt oder beschrieben werden kann.

Vers 10
Nagarjuna betont, dass nur die konkrete Wirklichkeit real ist und existiert. Dies unterscheidet sich häufig von dem, was wir als existent denken und uns vorstellen und mit dem Wort Existenz bezeichnen.

Unser Gehirn erzeugt die verschiedensten Varianten der sogenannten Existenz, die jedoch häufig überhaupt keine Wirklichkeit ist. Eine solche „Existenz“ ist dann nur eine Idee, Vorstellung oder Illusion.

Die Wirklichkeit ist niemals vollständig zu verstehen und hat immer die Qualität des Unfassbaren. Wir können sie im Tun und Handeln erfahren, aber nicht vollständig in Worten ausdrücken.

Vers 11
Was unser Interesse in der Wirklichkeit erweckt hat, wird von uns wahrgenommen und existiert daher so für uns. Allerdings nehmen wir sehr Vieles der Wirklichkeit dieser Welt überhaupt nicht wahr.

Auf der anderen Seite können wir nur das wirklich wahrnehmen, was zur Realität gehört und das nicht wahrnehmen, was gar nicht real ist. Viele unserer Ideen und Vorstellungen sind wie gesagt nicht Teil der Wirklichkeit.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Wirklichkeit völlig unabhängig davon ist, ob wir sie mögen oder nicht, ob wir sie lieben oder hassen. Wir sollten uns daher für die wahre Existenz und die einfache Erfahrung öffnen und uns nicht von unseren Bewertungen abhängig machen.

Vers 12
Die materielle Tatsache der Verbrennung bedeutet, dass wir die Tatsache der Flamme erkennen. Auch für die materiellen Aspekte, also der Verbrennung, kann es verschiedene Interpretationen und Bedeutungen geben, die wir dann als mentale Konstruktion einstufen müssen. Sie sind aber von der Wirklichkeit der Flamme verschieden.

Nagarjuna geht dann auf die Frage ein, ob wir indifferent gegenüber den Bedeutungen und der Wirklichkeit der Flamme sein können: er verneint dieses ganz klar, denn Indifferenz und Bedeutungslosigkeit widerspricht der Wirklichkeit unseres Lebens und des Universums. Selbst der materielle Aspekt des Feuers existiert nicht ohne Bedeutung.

Vers 13
Die Wirklichkeit der Flamme hat immer sowohl den Aspekt der Bedeutung als auch des Materiellen. Die konkrete Form der Flamme als ganzheitliche Wirklichkeit ist jedoch mehr als die naturwissenschaftliche Erklärung der Verbrennung. Diese Unterscheidung kann wie das Beispiel des Gehens im zweiten Kapitel verstanden werden. Die Erinnerung gegangen zu sein, die Erwartung in der Zukunft zu gehen und das Denken über das Gehen ist etwas grundsätzlich anderes als die Wirklichkeit des Gehens selbst.

Vers 14
Die Ganzheitlichkeit der Flamme ist nicht dasselbe wie die materiell-naturwissenschaftliche Erklärung und Theorie der Verbrennung. Aber Flamme und Verbrennung gibt es nicht an getrennten Orten, sondern sie gehören unauflösbar zusammen.

Die Flamme ist keine Imitation und kein Abbild der Verbrennung, denn sie ist umfassender. Die Verbrennung ist wiederum eine Theorie und Erklärung und keine Entität mit dinghaftem unabhängigem Charakter.

Die Verbrennung erzeugt daher auch nicht die Flamme, die als Wirklichkeit für sich selbst steht. Die Verbrennung ist eine wissenschaftliche Erklärung und ist etwas anderes als die Wirklichkeit, die sie erklärt oder erklären soll.

Vers 15
Die Wirklichkeit der Flamme bildet eine Einheit mit dem Feuer und der Verbrennung, und damit der Einheit der gedanklichen Überlegung uns Sinneswahrnehmung.

Alle Dinge und Phänomene sind weit mehr als das, was wir sehen und wahrnehmen können. Sie haben eine unendliche Komplexität. Man kann sie daher mit der komplexen Struktur eines Gewebes vergleichen.

In ähnlicher Weise ist das weiße Licht aus komplexen Einzelteilen zusammengesetzt, z.B. im unsichtbaren ultravioletten und infraroten Teil. Der Buddhismus geht über diese naturwissenschaftlich–materiellen Dimensionen hinaus, die schon für sich betrachtet unendliche Komplexität besitzen.

Vers 16
Die konkrete Wirklichkeit und Ideen existieren in den Dingen und Phänomenen, die gleichzeitig jeweils auch einzeln da sind. Aus der Sicht des Buddhismus gibt es die Totalität der umfassenden Existenz in jedem einzelnen Ding und Phänomen.

Häufig kümmern wir uns nicht um die wahre Natur dieser Dinge und Phänomene. Dadurch geraten wir in Schwierigkeiten und haben trotz erheblicher Anstrengungen bestimmte verengte und verzerrte Weltanschauungen. Wir treffen daher falsche Entscheidungen und bringen unser eigenes Leben in große Gefahren. Es ist sogar möglich, dass wir die wahre Bedeutung unseres Lebens zerstören.


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