Aus meiner Sicht sind fast
alle philosophischen Systeme nur intellektueller Natur und vernachlässigen das
praktische Handeln, die Erfahrung, das menschliche Erleben und nicht zuletzt
das Gleichgewicht und die intuitive Klarheit des Buddhismus. Den Buddhismus
nenne ich daher die Philosophie der umfassenden
Wahrheit im Gegensatz zur intellektuellen Philosophie des Denkens und der
Sprache im herkömmlichen Sinne.
Besonders die westliche
Philosophie basiert auf dem intellektuellen Denken oder der Sinneswahrnehmung,
die aber letztlich auch ihre Grundlage im intellektuellen Verständnis des
Gehirns hat. Wir müssen aber den Bereich des Intellekts überschreiten und die
Erfahrung, das Handeln und vor allem das meditative Gleichgewicht einbeziehen,
um zu einer Philosophie der umfassenden intuitiven Vernunft und Klarheit zu
gelangen. Dies ist für die moderne jetzige Gesellschaft von zentraler Bedeutung,
und aus meiner Sicht ist die Zeit jetzt reif dafür, um die gravierenden
Missverständnisse zwischen Theorie und Praxis zu überwinden.
Das umfassende intuitive
Verstehen aus unserer menschlichen Mitte und Balance, ist der Kern der
buddhistischen Lehre. Dabei ist vor allem zwischen der wahren umfassenden Vernunft
und den angestrebten Zielen und Ergebnissen zu unterscheiden, die dem Bereich
der Ideen und des Intellekts angehören.
Vers 1
Für ein umfassendes
Verständnis der Welt und unseres Lebens ist es notwendig, dass die intuitive Vernunft als Teil der Vier Edlen
Wahrheiten Buddhas wirksam ist. Die umfassende Intuition ist wesentlicher
Inhalt der Wirklichkeit und zentral
für die buddhistische Lehre. Die intuitive Vernunft übersteigt intellektuelles
Denken bei weitem und ist unbedingt notwendig, um essentielle Zusammenhänge und Wahrheiten im psychischen und vor
allem spirituellen Bereich zu
erfassen.
Demgegenüber haben Ergebnisse,
die durch unser Bewertungs-Denken gekennzeichnet sind, nur eine untergeordnete
Bedeutung. Aus meiner Sicht besteht der Unterschied zwischen der Wirkung nach
dem Kausalgesetz und dem angestrebten und gedachten Ergebnis genau darin, dass
die Wirkung intellektuell und emotional unbewertet
also einfache Realität ist, während das Ergebnis genau durch Denken und
Emotionen, z. B. Gier, gekennzeichnet werden kann.
Vers 2
Die Vernunft durchdringt die
Vierfache Edle Wahrheit der Welt und des Lebens und dadurch gibt es das
intuitive Begreifen, das über intellektuelles Denken hinausgeht.
Wenn wir klar erkennen und
überwinden, dass angestrebte Ergebnisse nur dem intellektuellen Denken
entspringen und benutzt werden, um ein oft vordergründiges Verstehen der
undurchsichtigen Situationen der Welt zu ermöglichen, hat das intuitive Begreifen
durch die Vernunft sich verwirklicht.
Vers 3
Wenn wir uns über das
intuitive Erfassen und Begreifen der Wirklichkeit im Klaren sind gibt es keinen
Raum für bewertende und meist fehlerhafte erstrebte Ergebnisse.
Die Philosophie der
umfassenden buddhistischen Wahrheit muss von der Intellektualität in der
weltlichen Kultur unterschieden und darf nicht vermischt und verwechselt
werden. Bei einer solchen fälschlichen Vermischung kann die umfassende
Wirklichkeit nicht mehr erkannt werden.
Vers 4
Die Vorstellungen und Konzepte der Vier Edlen Wahrheiten und die
Konzepte der der Vernunft sind etwas anderes als die Wirklichkeit.
Demgegenüber gibt es das
ganzheitliche intuitive Erfassen die Wirklichkeit, in der die Vernunft auch und
gerade die gesamte Vierfache Wahrheit durchdringt. Das ganzheitliche Erfassen
unterscheidet sich fundamental von vorgestellten Ergebnissen.
Vers 5
Für ein bestimmtes Ergebnis
werden oft scheinbare Gründe und eine scheinbare Logik behauptet; die
wirklichen Zusammenhänge werden dabei unterdrückt.
Daraus entsteht eine
Situation des gespaltenen Geistes: Es gibt einmal die wirklichkeitsgetreue
Verbindung zu den verursachenden Faktoren und zum anderen eine Scheinlogik, die
aber nicht der Wirklichkeit entspricht.
Nâgârjuna ist der festen
Überzeugung, dass die Natur und die Welt von Vernunft durchdrungen und von ihr
gesteuert werden. Eine Scheinlogik, die vom menschlichen Geist fälschlich
erdacht wurde, entspricht aber nicht dieser Wirklichkeit.
Vers 6
Die Wirkung der Vernunft in
der Welt ist unabhängig von den individuellen Menschen, die in derselben
Situation oft ganz unterschiedliche logische Verknüpfungen für richtig halten.
Sie sind dann fest davon überzeugt, dass dies die Wahrheit sei, aber das ist
nicht richtig und nur subjektiv.
Insbesondere wird die wahre Vernunft
nicht von solchen Ergebnissen gesteuert, die den Menschen angenehm oder
unangenehm erscheinen.
Die wahrte Vernunft wird im
Zustand des Gleichgewichtes erkennbar. Sie wird nicht durch die Emotionalität
und durch Affekte beeinflusst.
Ein angenommenes oder
abgelehntes Ergebnis erzeugt in dem menschlichen Geist oft eine falsche
logische Kette, sodass die wirklichen Ursachen und Zusammenhänge verdeckt
werden.
Vers 7
Wenn wir in der Lage sind,
ganzheitlich intuitiv zu erkennen und zu erfassen, können wir klar sehen, dass Ergebnisse
die Erfindungen des Denkens und der Emotionen sind.
Die wirklichen Zusammenhänge
ergeben sich aus der wahren Vernunft, die als Kraft in der Welt wirksam ist.
Unser menschlicher Geist erkennt diese Kraft als Gerechtigkeit, Wahrheit, Gott,
usw.
Vers 8
Bevor die ganzheitliche
intuitive Vernunft verwirklicht ist, kann es so scheinen, als ob das Ergebnis die
Wirklichkeit ist. Zweifellos sind gewöhnliche Menschen ohne die genannte geistige
Klarheit dieser Meinung, meist ohne sich dessen bewusst zu sein.
Wenn die Vernunft im
Gleichgewicht der Mitte ist, wird klar, dass Ergebnisse nicht aus der reinen
Vernunft abzuleiten sind, sondern gerade irrational sind.
Vers 9
Wenn wir Ergebnisse mit der
Vernunft analysieren und selbst im Gleichgewicht sind, können wir erkennen, was
Wirklichkeit und was Einbildung und Ideen sind. Dann können Vernunft und die so
durchschauten Ergebnisse nebeneinander bestehen.
Schon bevor die Vernunft
sich durchgesetzt hat, ist sie in einem gewissen Umfang wirksam und wir haben
eventuell schon ein Gefühl dafür, ob bestimmte Ergebnisse mit der Vernunft im
Widerspruch sind oder nicht.
Vers 10
Abgelehnte Ergebnisse
verlieren ihre Bedeutung im Zustand des Gleichgewichts auf dem Mittleren Weg.
Die Vernunft ist niemals von
subjektiven Fixierungen abhängig. Sie kann zwar vorübergehend durch den
fehlgeleiteten Geist unterdrückt werden aber der Mensch befindet sich dann
nicht im Gleichgewicht und besitzt keine ganzheitliche intuitive Vernunft.
Wenn intensiv angestrebte
Ergebnisse fehlschlagen und nicht erreicht werden, kommt es oft zu Depressionen
und sehr negativen Emotionen. Die Menschen fühlen sich dann als Verlierer und
verlieren ihr Selbstwertgefühl. Im Zustand des Gleichgewichts treten allerdings
solche Wirkungen nicht auf.
Wenn
wir Erfolge haben und die angestrebten Ergebnisse erreichen, ist es sicher zu
begrüßen, befreit aber den Menschen nur sehr begrenzt. Die Vernunft als
geistige Klarheit ist von solchen Erfolgen unabhängig.